Der große Dirigent, Pianist und Komponist hat das SHMF maßgeblich geprägt. Eine Hommage zum 100. Geburtstag

    Man stelle sich vor: Ein Weltbürger, aufgewachsen im orthodoxen jüdischen Milieu der amerikanischen Ostküste, zu Hause in New York und als Dirigent andauernd in den ersten Konzertsälen und Opernhäusern der Welt zu Gast, kommt aufs Land. In die deutsche Provinz. Dorthin, wo man seine musikalische Sprache nicht spricht und wo selbst Englisch keine Selbstverständlichkeit ist. Und was tut der Mann? Er gründet flugs ein international besetztes Jugendorchester und verzaubert mit seinen Konzerten nicht nur das Publikum, sondern ganz Schleswig-Holstein, ach was, gleich die staunende Republik.

    Niemand hätte sich einen Herbert von Karajan bei einem Konzert im Kuhstall vorstellen können. Leonard Bernstein aber liebte genau den ländlichen, egalitären Charakter des Festivals, der seinerzeit unerhört neu war. So war er eben. Ansteckend in seiner Begeisterungsfähigkeit, den Menschen zugewandt, ein rastlos Kreativer, ein Dirigent, Pianist und Komponist höchsten Ranges. Es ist kein Zufall, dass das Festival alljährlich den von der Sparkassen-Finanzgruppe gestifteten Leonard Bernstein Award vergibt: Seit er 1986 das erste Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) eröffnete und damit einschlug wie ein Meteorit, hat er das SHMF-Antlitz über seinen Tod im Jahr 1990 hinaus maßgeblich geprägt. Daran erinnert anlässlich seines 100. Geburtstags der Bildband „I fell in love with Schleswig-Holstein“, der im Mai im Wachholtz Verlag erschienen ist.

    Wenn Jamie Bernstein spricht, dann ist es, als stünde „Lenny“ in Person vor einem. Bernsteins älteste Tochter hat von ihrem Vater die Stimmfärbung geerbt, den Humor und die theatrale Begabung, ihre Zuhörer noch mit den kleinsten Geschichten zu fesseln. Am 15. August ist Jamie auf Gut Wulfshagen und tags darauf in Schenefeld bei den „Nachtgesprächen“ zu erleben. Ihre Texte wechseln sich ab mit den „Anniversaries“, Klavierminiaturen, mit denen Bernstein seine Freunde porträtierte, sowie Werken von Gershwin und Bernsteins Freund und Weggefährten Copland. Den Klavierpart übernimmt Sebastian Knauer.

    Bernsteins facettenreiche Persönlichkeit zeigt sich in der Bandbreite seines Schaffens. Sie reicht von dem berühmten Musical „West Side Story“ mit seinen mitreißenden Broadway-Rhythmen bis hin zu tiefernsten, komplexen Sakralwerken, in denen Bernstein seinen jüdischen Glauben reflektierte. Oft gab er seinen Werken programmatische Namen. So verbirgt sich hinter der Serenade nach Platons „Symposium“ ein Violinkonzert der besonderen Art, begibt sich doch die Solovioline in einen intimen Dialog mit Streichern, Harfe und Schlagwerk. Die niederländische Geigerin Janine Jansen interpretiert das selten gespielte Werk am 24. August im Michel und einen Tag später, am 100. Geburtstag des Komponisten, in Lübeck. Daniel Blendulf dirigiert die Camerata Salzburg, auf dem Programm stehen außerdem Werke von Mozart und Schumann.

    Das wahre Geburtstagsständchen aber erklingt am selben Abend in Kiel. Als großes „Festival Finale“ dirigiert nämlich Justus Frantz, der Bernstein einst nach Norddeutschland holte, Beethovens Neunte – ausgerechnet an dem Ort, an dem die Liebesgeschichte zwischen Bernstein und Schleswig-Holstein einst begann: in der Sparkassen-Arena.