Baikonur/Berlin .

Als erstes hört man ein Grollen, Wüstensand wirbelt auf. Es folgen zwei, drei Pulsschläge Stille, dann setzt sich die Sojus-Rakete in Bewegung und hinterlässt einen grellen Feuerschweif. Die vier Antriebe, Booster genannt, verbrennen jetzt tonnenweise Kerosin und Flüssigsauerstoff, sodass sie nach kurzer Zeit eine Leistung von 26 Millionen PS entfachen können. Minutenlang ist die Rakete noch am Himmel über der kasachischen Steppe zu sehen, nach kurzer Zeit senkt sich das 50 Meter lange und 300 Tonnen schwere Geschoss in eine horizontale Position.

Gut zehn Minuten später hat die Rakete ihre vier Booster abgetrennt, auch das Notfall-Evakuierungssystem und die Verkleidung der Kapsel sind bereits gelöst – die Crew braucht beides nicht mehr. Von jetzt an schweben Alexander Gerst und seine zwei Kollegen in ihrem Raumschiff schwerelos in einer Erdumlaufbahn.

Von hier aus flog auchJuri Gagarin

Seit Mittwoch sind der deutsche Astronaut, der Russe Sergej Prokopjew und die US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor auf dem Weg zur Internationalen Raumstation ISS in 400 Kilometern Höhe. Dort wird Gerst bei seiner zweiten ISS-Mission „Horizons“ etliche Experimente überwachen und Wartungsarbeiten durchführen – ab August übernimmt der Geophysiker das Kommando der Forschungsstation im All. Um 13.12 Uhr und 41 Sekunden wurde die Rakete auf der historischen Startrampe 1 gezündet. Von hier aus flog 1961 auch der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch ins All.

„Ich gehe davon aus, dass es ein Bilderbuchstart wird“, prognostiziert Rüdiger Seine, Leiter des Astronautentrainings der Europäischen Weltraumagentur Esa, kurz vor dem Start – und soll Recht behalten. Gemeinsam mit weiteren Esa-Vertretern verfolgt er den Countdown im Berliner Zeiss-Großplanetarium, wo bei der offiziellen Veranstaltung Hunderte Besucher auf die Großbildleinwände gucken.

Stargast ist die italienische Kampfpilotin und Esa-Astronautin Samantha Christoforetti, die 2014 zur ISS flog und mit 195 Missionstagen den weiblichen Rekord für Langzeitaufenthalte im Weltraum hält. „Mein größtes Gefühl beim Start war die Freude darauf, was auf mich zukommt. Aufgeregt war ich gar nicht“, berichtet die 49-Jährige, die vor ihrem Flug wie andere Esa-Astronauten ein zweieinhalbjähriges Training absolvierte.

Auch Gerst wirkt nicht nervös. Ruhig, konzentriert, oft lachend sieht man den 42-jährigen Geophysiker auf den Livebildern vom russischen Kosmodrom, wo ein streng durchgetaktetes Vorbereitungsprogramm – medizinische Untersuchungen und Materialchecks – schon in aller Frühe begonnen hat.

Bordkameras verfolgen später sogar jede Regung der Astronauten in der Kapsel an der Spitze der Rakete. Schon zwei Stunden vor dem Start hat die Crew in der sprichwörtlichen Sardinenbüchse Platz genommen – tatsächlich liegen die Raumfahrer mit angewinkelten Beinen in Schalen wie Babys im Mutterbauch.

Gut 45 Minuten später beginnen Gersts Arme plötzlich zu zucken. Was los ist? „Ich glaube, er tanzt“, sagt ein Esa-Kollege, der Gerst gut kennt. Gut möglich, dass gerade der Song „Astronaut“ über dessen Kopfhörer läuft. Der 42-Jährige aus Baden-Württemberg hatte sich das Hip-Hop-Stück von Sido und Andreas Bourani für den Drucktest der Rakete auf der Rampe gewünscht – wenn die Crew nichts zu tun hat.

Diesmal wird es auch für Gerst eine ungewohnt lange Zeit in der Kapsel werden. Noch vor vier Jahren flog er mit nur mit vier Erdumrundungen zur ISS. Mit dem Verfahren, „Quick-4-Orbit“ genannt, hatte er in nur sechs Stunden die Raumstation erreicht. Nun fliegt die Crew 34 Erdumrundungen und soll erst am Freitagnachmittag andocken. Weil der Start der Raumfahrer verschoben worden war, hatte die ISS keine günstige Position für den Schnellflug. „Dafür hätte sie just zum Startzeitpunkt über Baikonur sein müssen“, erklärt Esa-Trainingschef Seine. Doch schon kurz nach dem Raketenstart dürfen die Astronauten diesmal die Luke zum sogenannten Orbitalmodul öffnen und sich ausstrecken – dort gibt es auch Konserven-Essen und eine Toilette.

Vor dem Start hatte Esa-Generaldirektor Jan Wörner Gerst emotional verabschiedet. „Alex, weißt du, du könntest mein Sohn sein“, sagte Wörner. Und Astro-Alex schrieb noch eine letzte Twitter-Meldung: „Nächster Halt #ISS in zwei Tagen, wenn alles glatt geht. Passt auf euch auf, meine Freunde!“