Berlin.

Die bleibenden Zähne sollen uns ein Leben lang begleiten. Doch bei immer mehr Kindern brechen die Backen- und Schneidezähne schon porös aus dem Zahnfleisch, bröckeln und sind extrem schmerzempfindlich. Die Symptome deuten auf eine sogenannte Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation hin – kurz MIH. Die auch Kreidezähne genannte Problematik taucht mittlerweile so häufig auf, dass die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) sie als neue Volkskrankheit bezeichnet.

Demnach leiden bis zu 15 Prozent aller Kinder in Deutschland an MIH. Laut der aktuellen Mundgesundheitsstudie ist bei den Zwölfjährigen sogar grob jedes dritte Kind betroffen. „Mindestens ein Zahn weist bei ihnen Schäden auf“, erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin, Stefan Zimmer, der an der Uni Witten/Herdecke lehrt. Schwere Schäden, die behandelt werden müssen, habe etwa jedes zwanzigste Kind. „Aber die Häufigkeit nimmt zu“, so Zimmer.

Das Tückische: „Die genaue Ursache für MIH ist noch unklar, und so lässt sich kaum vorsorgen“, sagt Paul-Georg Jost-Brinkmann, der an der Charité den Arbeitsbereich Kinderzahnmedizin leitet. Bislang sei nur bekannt, dass der Grundstein für MIH schon um die Geburt herum gelegt werde. In dieser Zeit – zwischen dem achten Schwangerschaftsmonat und dem vierten Lebensjahr – entwickelt sich der Schmelz der Molaren, also der Backenzähne sowie der Inzisivi, also der Schneidezähne. „Und diese Zähne haben dann später eine poröse Schmelzstruktur, wenn sich MIH entwickelt. Die übrigen Zähne sind davon zumeist nicht betroffen“, so Jost-Brinkmann.

Die Faktoren, die als mögliche Ursachen diskutiert werden, sind vielfältig. Erkrankungen der oberen Luftwege, Antibiotikagabe oder auch das Umweltgift Dioxin gelten als vermeintliche Auslöser. „Es könnte auch eine Rolle spielen, wenn es bei der Geburt zu Sauerstoffmangel gekommen ist, das Kind häufig Durchfall hatte und so viele Elektrolyte verloren hat oder die Calcium- und Phosphatausscheidung über die Niere gestört ist. Diese Faktoren können die Schmelzbildung beeinträchtigen“, erklärt Jost-Brinkmann. Als Hauptverdächtiger gelte allerdings derzeit der Weichmacher Bisphenol A, erklärt Zimmer. Der Stoff kann zum Beispiel in Lebensmittelverpackungen und in der Beschichtung von Konservendosen stecken. Seine Verwendung in Babyflaschen ist seit 2011 verboten.

Hauptverdächtiger: Weichmacher aus Plastik

„Man hat nach einem Umwelt-Faktor gesucht, der beim Auftreten der ersten Fälle eine Rolle gespielt hat. Die Umstellung von Glas- auf Plastikflaschen, in denen der Weichmacher enthalten war, passte“, sagt Zimmer. Erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde MIH 1987. In darauffolgenden Tierversuchen hätten sich bei Ratten, die geringe Mengen Bisphenol A mit dem Futter bekamen, poröse Zähne entwickelt. Ob sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist jedoch unklar. „Da wir alle täglich in gewissen Mengen Bisphenol A aufnehmen, stellt sich hier die Frage, warum dann nicht auch alle von MIH betroffen sind“, schränkt Jost-Brinkmann ein. Ob am Ende nur ein Stoff die Ursache sei oder ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren, müsse noch geklärt werden.

Die Merkmale von MIH seien unter anderem kreidig-weiße oder in schwereren Fällen bernsteinfarbene Flecken, die schon während des Zahndurchbruchs zu erkennen seien, so Zimmer. Zudem seien untypische Stellen betroffen, ergänzt Jost-Brinkmann. „Karies etwa bildet sich vor allem an Stellen, die von der Zahnbürste schlecht erreicht werden, MIH kann sich auch an gut zugänglichen Stellen bemerkbar machen.“ Oft reagierten die betroffenen Kinder sehr empfindlich auf Hitze und Kälte sowie Säure oder Berührung allgemein. „Auch das Zähneputzen kann dann schon schmerzhaft sein und wird deswegen oft unterlassen“, sagt Zimmer. „Dann müssen Eltern aufpassen, dass sich nicht noch eine Karies bildet, die es auf den schon geschädigten Zähnen besonders leicht hat.“ Eine Versorgung mit Fluorid könne hier vorbeugen.