New York.

Harvey Weinstein erscheint am frühen Morgen. Es ist gegen 7.30 Uhr Ortszeit, als der einst so mächtige Filmmogul in Begleitung von Anwälten an den wartenden Fernsehkameras vorbeischreitet und eine New Yorker Polizeistation betritt. Der 66-Jährige wirkt blass, aber er lächelt, in der Hand hält er zwei Bücher. Es wird eng für Weinstein: Die Staatsanwaltschaft in Manhattan erhebt Anklage wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs gegen ihn. Am Freitag hat er sich gestellt.

Eine Stunde später kam er wieder heraus – in Handschellen. Später am Tag sollte er einem Richter zur offiziellen Verlesung der Anklage vorgeführt werden. Ins Gefängnis muss er wohl vorerst nicht. US-Medien berichten von einem Deal, den seine Anwälte mit der Staatsanwaltschaft geschlossen haben: Seine Kautionsbedingungen sind demnach schon vorab festgelegt worden. Er werde eine Million Dollar hinterlegen und sich verpflichten, ein Überwachungsgerät, etwa eine Fußfessel, zu tragen. Seinen Pass müsse er abgeben.

Die Ermittlungen laufen seit Monaten. Dutzende Frauen werfen Weinstein sexuelle Belästigung oder sogar Vergewaltigung vor. Viele Anschuldigungen sind allerdings bereits verjährt. Ausschlaggebend für seine Verhaftung sind nur zwei Fälle. Während eines der Opfer öffentlich nicht in Erscheinung tritt, hat die ehemalige Schauspielerin Lucia Evans (36) im Oktober dem Magazin „The New Yorker“ ihre Version der Geschichte erzählt. Weinstein, dem sie bei einer zufälligen Begegnung in einem Club ihre Nummer gegeben hatte, habe sie 2004 zu einem angeblichen Casting in das New Yorker Hauptquartier seiner Produktionsfirma Miramax geladen. Als sie allein mit Weinstein in seinem Büro gewesen sei, habe er ihren Kopf gegen seinen Penis gedrückt und sie zum Oralverkehr gezwungen. „Er zeigte keinerlei Emotion. Für ihn schien das ein ganz normaler Tag zu sein“, so Evans. Ihre Schauspielkarriere gab sie kurz nach dem Vorfall auf, heute arbeitet sie im Marketing.

Die Ermittlungen gegen Weinstein sind in den USA auf Bundesebene ausgeweitet worden. Die Behörden wollen unter anderem herausfinden, ob der Produzent Frauen dazu gebracht habe, über Staatsgrenzen hinweg zu reisen, um sie belästigen zu können. Außerdem könnte er gegen das Anti-Stalking-Gesetz verstoßen haben, um Opfer einzuschüchtern. Weinstein hat Fehlverhalten eingeräumt, bisher aber Vorwürfe zurückgewiesen, er habe Frauen zu Sex gezwungen. Seit Bekanntwerden der ersten Anschuldigungen im vergangenen Herbst ist er tief gefallen: Die von ihm gegründete Firma hat ihn entlassen, seine Ehefrau hat sich inzwischen von ihm scheiden lassen.

Morgan Freemanentschuldigt sich

Mehrere Schauspielerinnen, die Weinstein Übergriffe vorwerfen, reagierten erleichtert auf seine Verhaftung – unter ihnen die „Sopranos“-Darstellerin ­Annabella Sciorra (58), die angibt, Weinstein habe sie in den 90er-Jahren in ihrer Wohnung vergewaltigt. Rose McGowan (44), die zu den ersten ­Anklägerinnen Weinsteins gehörte, schrieb auf Twitter: „Wir haben dich, Harvey Weinstein, wir haben dich.“

Derweil meldete sich der Schauspieler Morgan Freeman (80) zu Wort, gegen den mehrere Frauen ebenfalls Belästigungsvorwürfe erhoben haben. „Jeder, der mich kennt oder mit mir gearbeitet hat, weiß, dass ich nicht jemand bin, der absichtlich verletzen oder wissentlich jemandem ein unbehagliches Gefühl vermitteln würde“, schrieb Freeman in einer Stellungnahme. „Ich entschuldige mich bei jedem, der sich unwohl oder nicht respektiert fühlte – das war nie meine Absicht.“