Manchester.

Englands Prinz William hat sich für den Kahlschlag entschieden, um sein schütteres Haar zu kaschieren. US-Präsident Donald Trump kämmt seine blondierten Rest-Strähnen seitlich über den Kopf – und fixiert sie mit reichlich Haarspray. Fußballtrainer Jürgen Klopp entschied sich schon vor Jahren für eine Haartransplantation und ließ sich seine höher werdende Stirn mit Haar vom Hinterkopf aufforsten.

Ob Geheimratsecken, schüttere Stellen oder kahle Flächen: In Deutschland leiden Millionen von Menschen an Haarausfall – bei den meisten ist dieser erblich bedingt. Ursache ist häufig eine Veranlagung, die Haarfollikel empfindlich auf das männliche Geschlechtshormon Testosteron reagieren lässt. Dieser anlagebedingte Haarausfall betrifft etwa zwei Drittel der Männer und fast jede zweite Frau.

Bei vielen löst der Verlust der Haarpracht auch psychische Pro­bleme aus. Deshalb ist das Thema Haarausfall ein lukratives Geschäft für die Kosmetikindustrie. Doch dass Shampoos oder Pillen mit Zusätzen wie Koffein, Keratin oder Ginseng gegen das Problem helfen, sei wissenschaftlich nicht ausreichend belegt, urteilt unter anderem die Stiftung Warentest.

Anders soll es bei einem Wirkstoff aussehen, auf den Forscher um Ralf Paus von der britischen University of Manchester per Zufall stießen. Die ursprünglich zur Behandlung von Osteoporose entwickelte Substanz unterstütze das Haarwachstum, schreiben die Autoren in der Fachzeitschrift „Plos Biology“. Ausgegangen waren die Forscher dabei von einem anderen Stoff: Cyclosporin A. Er wird zur Unterdrückung von Reaktionen des Immunsystems verwendet, etwa damit Organe nach einer Transplantation nicht abgestoßen werden. Das Mittel hat mehrere schwere Nebenwirkungen, kann unter anderem toxisch auf Nieren und Leber wirken – eine der harmloseren Folgen der Einnahme ist übermäßiges Haarwachstum. Das Team um Paus untersuchte im Labor mithilfe gespendeter Haarfollikel, wie es dazu kommt.

Cyclosporin A hemmt demnach ein bestimmtes Protein mit dem Namen SFRP1. Dieses wirkt sich seinerseits hemmend auf den sogenannten Wnt-Signalweg aus. Er ist in vielen Gewebestrukturen entscheidend für Entwicklung und Wachstum, wie die Autoren erklären. Sie suchten also nach einem weniger aggressiven Weg, das Protein SFRP1 zu hemmen, und fanden diesen in Form des Wirkstoffs WAY-316606. Schon länger ist bekannt, dass SFRP1 auch im Knochen vorkommt und hier zu Krankheiten wie Osteoporose führen kann. WAY-316606 hatte die Knochenbildung in Studien wieder stimulieren können.

Paus und seine Kollegen untersuchten nun erstmals seine Wirkung auf Haarfollikel und wurden nicht enttäuscht: Bereits nach zwei Behandlungstagen habe WAY-316606 die Verlängerung der Haare signifikant verstärkt – ohne die Nebenwirkungen, die von anderen Stoffen bekannt sind.

Bisher können Mittel den Haarausfall nur bremsen

Bisher werden hauptsächlich die zwei Arzneistoffe Minoxidil und Finasterid zur Behandlung von Haarausfall eingesetzt. Das rezeptpflichtige Finasterid kann den Haarverlust bremsen, allerdings nicht rückgängig machen, erklären die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest, die Medikamente regelmäßig anhand der aktuellen Studienlage prüfen. Das Mittel werde eigentlich bei vergrößerter Prostata eingesetzt. Es könne sich negativ auf Potenz und Libido auswirken, auch depressive Verstimmung, starker Hautausschlag sowie Herzrasen oder Atemnot zählten zu den beobachteten Nebenwirkungen.

Minoxidil gebe es auch ohne Rezept, es könne den Haarausfall ebenfalls nur entschleunigen, sich jedoch nicht auf das Wachstum auswirken. Der Wirkstoff dient auch als Blutdrucksenker und kann zu entsprechenden Nebenwirkungen wie Schwindel, Brustschmerz oder Schwächegefühl führen, so die Experten. Hautausschlag und vermehrtes Haarwachstum an anderen Körperstellen werden in der Packungsbeilage als mögliche Nebenwirkungen aufgeführt.

Von WAY-316606 sei bisher keine negative Einwirkung auf den menschlichen Körper bekannt, schreiben Paus und Kollegen. Durch seine Wirkungsweise könne der Stoff sogar das Krebsrisiko umgehen, das eigentlich mit einer dauerhaften Überaktivierung des Wnt-Signalwegs verbunden sei.

Dank der Kooperation mit einem Haartransplantations-Chirurgen konnten die Experimente der Forscher an echten Haarfollikeln durchgeführt werden, die von 40 Patienten gespendet worden waren. „Dies macht unsere Forschung klinisch sehr relevant, da viele Haarforschungsstudien nur Zellkulturen verwenden“, sagt Nathan Hawkshaw von der University of Manchester, Erstautor der Studie. Bevor der Wirkstoff allerdings eine Zulassung für die Anwendung bei Haarausfall erhalten kann, muss er sich in Probandentests als sicher erweisen. Wann und ob solche Studien geplant sind, gaben die Wissenschaftler vorerst nicht bekannt.

Der Bonner Dermatologe Gerhard Lutz, der nicht an der Studie beteiligt war, bezeichnet die Forschungsergebnisse als „wissenschaftlich fundiert erstellt“. Vor vielen Jahren sei in einem Fachartikel die erfolgreiche Behandlung von kreisrundem Haarausfall mit Cyclosporin A beschrieben worden, sagt Dermatologe Lutz. „Allerdings kann das Medikament aufgrund seiner Nebenwirkungen nicht im klinischen Alltag eingesetzt werden.“ Cyclosporin A eigne sich jedoch als Leitsubstanz zum Auffinden neuer Behandlungswege – wie in der aktuellen Studie geschehen. Über das Herunterregeln spezifischer Proteine „könnten sich neue Therapieansätze ergeben“, so Lutz.