Roman Polanskis Thriller „Nach einer wahren Geschichte“ handelt von Schaffenskrisen

    Das Erschaffen künstlerischer Werke wird nicht selten mit einer Geburt verglichen. Weil es hier ja auch irgendwie um Erzeugnisse geht. Weil auch die oft unter Wehen zustande kommen, ja manchmal einer Zangengeburt gleichen. Der Vergleich stimmt aber auch im Nachhinein. Ist ein Werk abgeschlossen, kommt es zuweilen zu einem Zustand, der dem einer postnatalen Depression ähnelt. Ein schwarzes Loch, in das man fällt. Die Angst, ob man dem eigenen Anspruch noch gerecht werden, ob man je wieder etwas Vergleichbares nachlegen kann.

    Davon handelt auch Roman Polans­kis verstörender Film „Nach einer wahren Geschichte“. Wir lernen darin eine Autorin kennen, die offensichtlich großen Erfolg hat. Anfangs si­gniert diese Delphine (Emmanuelle Seigner) ihr Buch, und die Schlange der Wartenden ist enorm. Die Autorin kann sich über diesen Erfolg aber nicht freuen. Ihr jüngstes Buch war ein sehr persönliches, in dem sie den Selbstmord ihrer Mutter verarbeitet hat. Nun ist sie erschöpft, voller Selbstzweifel. Ihre Leser nerven sie nur. Brüsk bricht sie die Signierstunde ab.

    Ewiges Spiel mit Identitäten und Erwartungshaltungen

    Dann steht plötzlich eine junge, attraktive Frau (Eva Green) vor ihr, die sie unbedingt kennenlernen will. Sie nennt sich Elle, kurz für Elisabeth, aber „Elle“ bedeutet im Französischen auch einfach „sie“, das weibliche Personalpronomen. Wenig später wird Elle bei Delphine anrufen, obwohl die sich nicht erinnern kann, ihr ihre Nummer gegeben zu haben. Bald winkt sie vom Balkon gegenüber. Und drängt sich mehr und mehr in das Leben der Autorin. Elle ist, behauptet sie zumindest, Ghostwriterin, also das genaue Gegenteil von Delphine. Delphine aber hat Angst vor dem nächsten Buch, Ekel vor der leeren ersten Seite, auch vor allen Marketing-Verpflichtungen. Die ziemlich aufdringliche Fremde kommt da gerade recht. Sie lässt sie erste neue Entwürfe lesen. Sie lässt sie auch ihren E-Mail-Verkehr verwalten. Und verrät ihr dafür sogar das Passwort ihres Computers.

    In dem Moment fasst man sich als Zuschauer an den Kopf. Wer würde einer Fremden solch vertrauliche Informationen überlassen? Noch dazu, wo Delphine anonyme Drohbriefe erhält und unter ihrem Namen bald im Netz eine Facebook-Seite voller Hassbotschaften erscheint? Doch statt skeptisch zu werden, lädt Delphine Elle ein, bei ihr zu wohnen. Und als sie eine lang zugesagte Lesung absagen will, schlägt Elle, die ihr in keiner Weise ähnelt, vor, an ihrer statt hinzugehen und sich als Delphine auszugeben.

    Anziehung und Abstoßung, Polanski reizt das weidlich aus. Mal scheint das Ganze ins Homoerotische zu kippen, dann wieder scheint es, als wolle die Ghostwriterin nach und nach die Identität der Erfolgsautorin kapern. Nicht von ungefähr muss man ständig an „Mysery“ denken, die Verfilmung von Stephen Kings Roman. Aber auch Delphine treibt ein Spiel, es keimt in ihr der teuflische Plan, Elles verkorkstes Leben für einen neuen Roman auszuschlachten. Polanski spielt mit lauter Erwartungshaltungen, die er dann so doch nicht einlösen mag. Und natürlich schwebt auch ständig die Frage im Raum, ob es diese Elle überhaupt gibt, oder ob sie nicht bloß eine Wahnvorstellung Delphines ist.

    Dem Film liegt das gleichnamige Buch von Delphine de Vigan zugrunde, die davor wirklich ein Sachbuch über ihre Mutter geschrieben und ihre eigene Schreibblockade danach verarbeitet hatte. Man kann gut verstehen, warum Polans­kis Frau Emmanuelle Seigner ihren Mann aufforderte, das Buch zu lesen. Das Verschwimmen von Realität und Wahn, das Gefangensein im eigenen Heim, das Spiel mit Identitäten bis hin zur Schizophrenie, das alles sind Themen, die sich leitmotivisch durch Polanskis Œuvre ­ziehen.

    Allerdings legt der Regisseur die Fährten diesmal zu eindeutig aus, und die subtile Spannung, die so viele seiner längst zu Klassikern gewordenen Filme ausmacht, mag sich ­diesmal nicht einstellen: „Nach einer wahren Geschichte“ ist einer der schwächsten Filme Polanskis überhaupt.

    Das liegt auch an Emmanuelle Seigner. Seit 30 Jahren, seit „Frantic“, spielt Emmanuelle Seigner in vielen Filmen ihres Mannes, meistens die verführerische Fremde. Polanski hatte sie auch erst für die Rolle der Elle im Sinn, Seigner wollte aber einmal den anderen Part übernehmen, ist wohl auch allmählich zu alt für die ewige Verführerin. Doch den Part der Kreativen in der Sinnkrise vermag sie nicht recht auszufüllen. Der gewohnt starken Eva Green kann sie schauspielerisch kaum Paroli bieten.

    Vor zwei Wochen warf die Oscar-Academy Polanski raus

    Ein Drama über Schaffenskrisen und Blockaden: Das wirft freilich auch die Frage auf, inwieweit der Film etwas über Polanski selbst aussagt. Das Thema erinnere ihn an seine eigenen Ängste, die ihn als Regisseur heimsuchten, wenn er einen Film beendet habe, gab er in einem Interview zu. Aber man denkt natürlich weiter.

    Der Horror ist, von Schatten heimgesucht zu werden: Es bedarf nicht viel Fantasie, um das auf den Filmautor selbst zu beziehen. Ein Horror, der freilich auch nach dem Film nicht endet: Erst vor zwei Wochen gab die Oscar-Academy bekannt, Polanski zusammen mit Bill Cosby wie zuvor schon Harvey Weinstein aus ihrer Körperschaft auszuschließen. Nicht nur ein Werbedesaster für den Film, sondern einStigma für den 84-Jährigen.

    „Nach einer wahren Geschichte“ F/P/B 2017, 101 Min., ab 12 J., R: Roman Polanski, D: Emmanuelle Seigner, Eva Green, Vincent Perez, täglich im Koralle, Passage; www.studiocanal.de/kino/nach_einer_wahren_geschichte