Moskau.

Einfach mal nichts tun. Das ist gerade ganz nach Alexander Gersts Geschmack, denn die letzten Wochen waren anstrengend. Er musste sich auf seine bevorstehende Reise zur Internationalen Raumstation ISS vorbereiten. Nach dem intensiven Training wird er nun von der Umwelt abgeschirmt, um auf keinen Fall Krankheitserreger auf den Außenposten der Menschheit einzuschleppen. „Ehrlich gesagt, freue ich mich auf die Quarantäne“, sagt der 42-Jährige, als er am Montag im Ausbildungszentrum bei Moskau ein letztes Mal vor die Presse tritt.

Vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan aus wird Gerst am 6. Juni für rund ein halbes Jahr zur ISS zurückkehren – jener Station, auf der er 2014 zu einem Star der Wissenschaft wurde. Damals verbreitete er eifrig Fotos seiner Umgebung in den sozialen Medien, zeigte seine Schlafkabine, filmte den Alltag des Astronautenteams und sorgte so dafür, dass die Raumfahrt in Deutschland so populär ist wie lange nicht. Bei seiner neuen Mission, „Horizons“, soll er sogar das Kommando übernehmen – als erster Deutscher überhaupt.

Die ISS als ein„Stück Heimat“

Auf dem Schwaben lastet ein enormer Druck. Doch davon lässt er sich nichts anmerken. Sein Auftritt beim Pressegespräch im Sternenstädtchen ist jedenfalls beeindruckend. Da steht der Geophysiker aus Künzelsau im dunklen Anzug mit weißem Einstecktuch und beantwortet in fließendem Russisch die Fragen der Medienvertreter. In seinem Internetblog hat Gerst allerdings beschrieben, was gerade in ihm vorgeht. Die größten Raumfahrtagenturen der Erde vertrauten ihm „die komplexeste und wertvollste Maschine an, die Menschen jemals gebaut haben“. Allein diese Vorstellung erfülle ihn mit Ehrfurcht. Zugleich könne er es „kaum erwarten“, die Station wiederzusehen. Sie sei für ihn „ein Stück Heimat“ geworden. „Ich freue mich auf den Moment, in dem die Luke aufgeht und ich wieder durch diese faszinierende Miniaturwelt der Schwerelosigkeit schweben kann.“ Auf Twitter nennt er sich „Astro-Alex“ und wird seine Eindrücke wieder mit der Welt teilen.

300 Experimente sollen die Astronauten während der Mission „Horizons“ in ihrem schwebenden Labor betreuen. Mehr als 50 davon steuern Wissenschaftler deutscher Universitäten, Firmen und der Raumfahrtagentur DLR bei. Der Name ist Gerst zufolge bewusst gewählt worden: Es gehe darum, zu erforschen, „was um die Erde herum ist“. Er denkt an Mond und Mars. „Horizons“ führe seine Mission „Blue Dot“ von 2014 fort. Damals lag der Fokus auf der Erde, nun soll der Blick erweitert werden. Man brauche etwa ein Teleskop auf der Rückseite des Mondes, um große, heranrasende Asteroiden früher sehen zu können. „Das passiert oft, dass ein 500-Meter-Asteroid erst vier Wochen vorher entdeckt wird. Das ist ein hohes Risiko, was wir uns leisten.“

Die größten Geldgeber für das fliegende Labor sind die Vereinigten Staaten und Russland. So kommt es, dass Gerst die Mission zusammen mit der US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor (42) und dem Russen Sergej Prokopjew (43) antritt. Die Stimmung unter den Astronauten ist gut, versichert der künftige Kommandant: „Wenn ich es hinbekomme, dass wir unser Programm durchführen und dass wir als Freunde zurückkommen, dann ist das für mich eine großartige Mission geworden.“ Neben den menschlichen ist auch ein künstlicher Kollege an Bord: Cimon. Cimon ist eine fünf Kilo schwere Kugel mit Gesicht und Mimik, die etwa bei Reparaturen helfen kann, Anleitungen vorliest – und die einfach da ist, wenn die Astronauten jemanden zum Reden brauchen. Cimon ist die erste künstliche Intelligenz im Alltag, jedenfalls soweit sie von der Menschheit stammt.

Gerst gibt sich betont optimistisch. Nur eines bereitet ihm Sorgen: dass er die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer nicht sehen kann. Vor vier Jahren, bei Gersts erstem ISS-Aufenthalt, konnte er sich einige Spiele der WM 2014 live anschauen, da sie erst nach seinem Feierabend liefen. „Jetzt“, fürchtet er, „wird das etwas schwieriger, weil vieles in unserer Arbeitszeit sein wird.“

Trotzdem fiebert er dem 6. Juni entgegen, wenn es endlich losgeht. Seinen Koffer hat er schon gepackt. Darin befindet sich neben Familienfotos unter anderem eine Fahne der Universität Hamburg, an der Gerst promoviert hat. Er darf nur nicht mehr krank werden, sagt Gerst, und verabschiedet sich in die Quarantäne.