Die Ursachen liegen in verspannten Muskeln, schwachem Bindegewebe und Stress. Prothesen für die Bandscheibe

Das Rückgrat ist das meistfotografierte Inventar des Körpers. Hinter Bleiplatten und in Röhren werden täglich Tausende Wirbelsäulen geröntgt, durchleuchtet und begutachtet – in der Hoffnung, den Ursachen von Kreuzweh auf die Spur zu kommen. Diese Hoffnung wird allerdings oft enttäuscht. „Unser Stützgerüst funktioniert nicht nach der Logik ,Wo was wehtut, ist was kaputt‘, erklärt Rückenspezialist Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Statistisch finden wir bei 85 Prozent aller Kreuzbeschwerden die Hauptursache nicht auf der rein körperlichen Ebene.“ Dennoch wird in Deutschland fleißig an der Bandscheibe operiert, jährlich mehr als 770.000-mal. Und das, obwohl Studien belegen: Vier von fünf Rücken-OPs bringen nichts.

Schäden, die Ärzte auf Röntgenbildern entdecken, müssen nicht zwingend wehtun. Tatsächlich feiern die meisten Menschen bereits ihren 30. Geburtstag mit ersten Verschleißerscheinungen des Rückgrats. Die meisten bemerken diese Folge des natürlichen Alterungsprozesses gar nicht. Ihr Gehirn übersetzt das Signal „kaputt“ nicht in „Schmerz“. Mit 70 Jahren hat praktisch jeder ein mehr oder weniger defektes Kreuz – was er oder sie mit Glück immer noch nicht spürt.

Was lässt die einen leiden, während die anderen selbst im hohen Alter ihr Kreuz kaum bemerken? Nach neuesten Erkenntnissen ist es meistens ein Zusammenspiel von verspannten Muskeln, schwachem Bindegewebe und Stress. Grundsätzlich nehmen wir Schmerzen stärker wahr, wenn wir uns insgesamt nicht so gut fühlen, also etwa unter Dauerdruck stehen. Wer „genervt“ oder gar „kreuzunglücklich“ ist, bekommt oft tatsächlich Rückenschmerzen. Völlig falsch ist der Rat, den Orthopäden ihren Patienten jahrzehntelang gaben. Mit Schmerzen im Rücken sollte man sich nämlich gerade nicht ins Bett legen und warten, bis die Pein vorbei ist. Im Gegenteil: „Bewegung“ heißt die Therapie. Aktivität entspannt die Muskeln. Und sie tut auch der Seele gut, zeigen Studien. „Bewegung aktiviert das körpereigene Schmerz-Hemmsystem“, so der Rückenexperte. „Wichtigste Maßnahme bei Hexenschuss und Co. ist es daher, mobil zu werden.“

Bei Taubheitsgefühlen und Blasenproblemen zum Arzt

Wenn es im Rücken akut zieht und schmerzt, helfen manchmal schon simple Wärmeauflagen, ein heißes Bad, eine Massage oder eine Schmerztablette, die Qual so weit zu dämpfen, dass man sich wieder rühren kann. Hilfreich kann auch sein, sich eine halbe Stunde flach auf den Boden zu legen, die Unterschenkel auf die Sitzfläche eines Sofas zu platzieren und dabei tief ein- und auszuatmen. Bei heftigeren Attacken – vor allem wenn man sich selbst nach zwei Tagen vor Schmerzen kaum bewegen kann – kann der Arzt eine Spritze geben. Das alles mit dem Ziel, so schnell wie möglich zumindest spazieren gehen oder sogar leichten Sport machen zu können. „Gut tut Kreuzweh-Geplagten zum Beispiel Aqua-Gymnastik am Warmbadetag oder in einem Thermalbad“, empfiehlt Prof. Dr. Froböse. „Durch den Auftrieb des Wassers wird ihr Rücken entlastet.“

Schnellstmöglich zum Arzt gehen sollte man allerdings, wenn die Rückenschmerzen nach einem Sturz oder Unfall auftreten, wenn gleichzeitig Arme, Hände, Beine oder Füße taub sind, Schwindel, Fieber oder Blasenprobleme dazukommen. Dann könnte es sich um eine ernsthafte Erkrankung der Wirbelsäule handeln. Falls eine Bandscheibe entfernt werden muss, können viele Patienten heute so beweglich bleiben wie zuvor. Seit Kurzem gibt es nämlich Prothesen für den gallertartigen Puffer zwischen den Wirbeln. Damit arbeiten zum Beispiel die Ärzte des Wirbelsäulenzen­trums Rahlstedt. Die Statistik zeigt, dass unser Kreuz die Tendenz hat, zur Dauer-Schwachstelle zu werden. Laut Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK hatten drei Viertel aller Berufstätigen im vergangenen Jahr mindestens einmal Rückenbeschwerden. 2003 waren es nur 55 Prozent.