Berlin.

Zu viel Salz ist ungesund, da sind sich Forscher einig. Mehr als ein gestrichener Teelöffel voll sollte es pro Tag nicht sein, rät die Weltgesundheitsorganisation WHO – etwa fünf Gramm. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung erlaubt immerhin sechs Gramm. Die Deutschen halten sich weder an die eine noch an die andere Empfehlung: Frauen essen im Schnitt 8,4 Gramm pro Tag, Männer etwa 10. Denn Salz lauert geschmacklich mitunter gut versteckt fast überall: in Tiefkühlpizza und Fertignudeln, in Wurst, Käse, Brot und Knabberkram.

Für Wissenschaftler lange ein Rätsel: Bei einigen führt der Überkonsum zu extremem Bluthochdruck, bei anderen nicht. Ein Forscherteam unter Leitung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin hat den Zusammenhang über fünf Jahre untersucht – und machte eine erstaunliche Entdeckung. Die Bakteriengemeinschaft im Darm – das Darmmikrobiom – spiele eine entscheidende Rolle, erklären die Autoren im renommierten Fachblatt „Nature“.

Reichlich Salz lasse darin die Population bestimmter Milchsäurebakterien schrumpfen, woraufhin der Blutdruck steige. Doch das funktioniere offenbar auch umgekehrt. Werden die nützlichen Keime lebend mit der Nahrung geschluckt, als Probiotikum also, sinkt der durch Salz erhöhte Blutdruck wieder. Und mehr noch: Sie könnten sogar langfristig Schutz vor weiteren negativen Effekten des Salzkonsums bieten.

Könnte also beispielsweise ein probiotischer Joghurt gegen Bluthochdruck wirken? So einfach wollen die Forscher um den Charité-Mediziner Nicola Wilck es nicht formulieren. Doch der mögliche therapeutische Nutzen der neuen Erkenntnisse sei hoch. Die Arbeit wurde jetzt mit dem Theodor-Frerichs-Preis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ausgezeichnet.

Zu viel Salz kann Multiple Sklerose fördern

„Unsere Idee war, zu untersuchen, wie sich das Mikrobiom durch eine Hochsalzdiät verändert“, erklärt Wilck. „Dass wir dabei auf Laktobakterien gestoßen sind, war reiner Zufall.“ Die Wissenschaftler bildeten für ihre Untersuchung zwei Mäusegruppen und fütterten sie über zwei Wochen mit unterschiedlich salzhaltigen Pellets. Ganze vier Prozent Natriumchlorid enthielt das Pressfutter der Salz-Mäusegruppe.

Bei ihnen stellten die Forscher rasch einen Anstieg einer Untergruppe von weißen Blutkörperchen fest, den sogenannten Typ17-T-Helferzellen. Üblicherweise machen diese Zellen Krankheitserreger unschädlich. „Diese Subgruppe kann aber auch Schäden im eigenen Gewebe anrichten“, erklärt Wilck, „dann kommt es zu einer sogenannten sterilen Entzündung. Dabei setzen Immunzellen ohne die Anwesenheit von Bakterien entzündungsverursachende Stoffe frei, die das Gewebe wichtiger Organe wie Herz und Nieren angreifen können. Diese Zellen lassen vermutlich auch den Blutdruck steigen“. Sogar Autoimmunerkrankungen wie etwa Multiple Sklerose (MS) würden durch den Anstieg solcher fehlgeleiteten T-Zellen begünstigt. „Und eine besonders salzhaltige Diät fördert diesen Prozess offensichtlich“, so Wilck.

Stuhlproben der Salzmäuse zeigten den Forschern jedoch noch eine weitere wesentliche Veränderung. Eine im Darm siedelnde Spezies von Milchsäurebakterien namens Lactobacillus murinus schrumpfte durch die Ernährungsumstellung deutlich. Ob die beiden Entwicklungen zusammenhängen, prüften die Forscher in weiteren Mäuseversuchen. Zusätzlich zur Salz-Diät verordneten sie zwei Tier-Gruppen die Laktobakterien mit der Nahrung. Bei der einen achteten die Forscher gezielt auf die Entwicklung des Blutdrucks, bei der anderen darauf, wie und ob sich durch die Salz-Diät eine Multiple Sklerose entwickelt. „Bei den Tieren beider Gruppen bildeten sich durch die Gabe der Laktobakterien deutlich weniger TH17-Zellen“, erklärt Wilck, „der Blutdruck der einen Mäusegruppe normalisierte sich, in der anderen wurde die Entwicklung der MS unterdrückt“. Ein riesiger Erfolg für die Wissenschaftler.

Getestet an Mäusen und Männern

Ob zu viel Salz auch beim Menschen die T-Zellen-Produktion ankurbelt und die Gemeinschaft der Laktobazillen reduziert, prüften Wilck und Kollegen bei einer kleinen Gruppe von zwölf gesunden Männern. Diese schluckten über zwei Wochen täglich, zusätzlich zu ihrer üblichen Salzaufnahme, noch sechs Gramm Kochsalz in Tablettenform. Es zeigten sich vergleichbare Effekte wie bei den Mäusen, auch ihr Blutdruck stieg an. Eine große, placebokontrollierte Studie soll nun zeigen, ob die Gabe von Lactobacillus murinus die Negativ-Effekte von Salz auch beim Menschen eindämmen kann.

„Selbst wenn das zutreffen sollte, soll das aber nicht heißen, dass man seinen Blutdruck oder gar Multiple Sklerose künftig mit einem Gang zum Joghurtregal in den Griff bekommt“, warnt Wilck. „Unser Ziel ist eine maßgeschneiderte Therapie.“ Darüber, ob beispielsweise probiotische Joghurts oder Nahrungsergänzungsmittel auch weiterhin frei verkauft und unkritisch eingesetzt werden dürften, wenn sich bestimmte Milchsäurebakterien als medizinisch wirksam erweisen, müsse diskutiert werden. „Dazu müsste in Studien überprüft werden, ob auch andere Milchsäurebakterien diese Wirkung haben oder nur diese eine Art, die bislang ohnehin nicht als Lebensmittel verkauft wird“, sagt Professor Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Zunächst müsse Lactobacillus murinus sich nun im Menschversuch beweisen.

Obwohl Teile der Arbeit vorerst nur auf Tierversuchen basieren und die Gruppe der menschlichen Probanden klein gewesen sei, seien die Ergebnisse sehr schlüssig. „Die Hypothese der Autoren erklärt viele Beobachtungen, die in den letzten Jahren gemacht wurden“, so Smollich. „Etwa dass manche Menschen mit Bluthochdruck auf zu viel Salz reagieren und andere nicht. Salzsensitive könnten zu wenige von den vorteilhaften Bazillen im Darm haben.“

Bislang seien verschiedenste Milchsäurebakterien in erster Linie auf ihre Fähigkeit getestet worden, entzündliche Darmerkrankungen mildern zu können. „Dazu gibt es viele komplett widersprüchliche Studien“, sagt Smollich. Die Arbeit von Wilck und seinen Kollegen sei die erste, die die Nutz-Keime für eine Erkrankung einsetze, die nicht direkt mit der Verdauung zusammenhänge. „Dadurch könnte sich ein ganz neuer Ansatz zur Prävention von Bluthochdruck auftun.“