Berlin.

Der Musikpreis Echo ist Geschichte – abgeschafft als Folge der Entscheidung, den sogenannten Gangsta-Rappern Farid Bang und Kollegah die Auszeichnung für ein Album zu verleihen, das durch eine antisemitische Textzeile auffällt. Eduard Waidhofer, Psychologe und Psychotherapeut aus Österreich, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Image dieser Künstler. Er nennt die Textinhalte sexistisch, homophob und rassistisch. Der Erfolg der Rapper vor allem beim jungen männlichen Publikum sei aber erklärbar.

Herr Waidhofer, was machen diese Gangsta-Rapper aus Sicht der Musikindustrie richtig?

Eduard Waidhofer:Sie schaffen es unheimlich gut, Jugendliche anzusprechen, die auf der Suche nach sich selbst sind, die sich von der Gesellschaft abgrenzen wollen. Sie fühlen sich von den Rappern verstanden – dass man ständig um Anerkennung kämpfen muss, dass man sich behaupten und autonom bestimmen will. Das sind wichtige Themen der Jugend.

Wer fühlt sich davon besonders angezogen?

Vor allem männliche Jugendliche, die wenig Perspektiven und Zukunftsängste haben, Jugendliche aus sozial schwachen oder bildungsfernen Milieus. Sie sind fasziniert von Persönlichkeiten, die sich von ganz unten hochgearbeitet haben, die offensichtlich reich geworden sind. Die Statussymbole, die sie verwenden – teure Kleidung, Autos, Schmuck – wirken besonders auf der nonverbalen Ebene. Die Rapper werden zu Idolen. Und zum Sprachrohr von jungen Männern, die sich selbst nicht entsprechend artikulieren können.

Klingt ziemlich normal.

Problematisch ist, dass die Texte Hass, Gewalt, Rassismus oder Drogen thematisieren. Und das in einer verrohten, abwertenden und sexistischen Sprache. Wer solchen Rappern einen Preis verleiht, gibt ein falsches Signal.

Welches denn?

Ich finde, dass damit Antisemitismus wieder salonfähig gemacht wird. Das ist das eine. Aber gucken Sie sich auch mal das Männerbild an, das da transportiert wird: Dominanz, Härte, Überlegenheit, Macht. Das ist überholt. Aber ich habe leider den Eindruck, dass heute eine Retrobewegung im Gange ist. Es gibt eine Rückkehr zu Männerbildern, die überwunden schienen, aber offensichtlich noch drin sind in unseren Köpfen.

Sie sprechen in Ihren Büchern oft vom verunsicherten Mann.

Von Männern wird heute viel erwartet. Sie sollen nach wie vor die Familie ernähren, viel Geld verdienen, die Frau beschützen, liebevolle und einfühlsame Partner sein, sich intensiv um die Kinder kümmern, Aufgaben in Haushalt und Familie übernehmen und Gefühle zeigen. Und in der Arbeitswelt? Da sind noch immer klassische Männerideale gefragt: sich durchsetzen, konkurrieren, sich an Leistung und Erfolg orientieren. Das verunsichert.

Was ist Ihrer Meinung nach ein modernes Männerbild?

Es geht um Männer, die ihre Identität nicht mehr über Leistung, Arbeit und Status definieren, sich in der Haus- und Familienarbeit engagieren und sich auch für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Sie zeigen Wertschätzung und Mitgefühl anderen Menschen gegenüber und übernehmen Verantwortung für ihr Verhalten. Ein moderner Mann zeigt seine wahren Gefühle, seine Schwächen und auch seine Verletzlichkeit. Er braucht Angst, Trauer oder Überforderung nicht abzuspalten.

Manche würden solche Männer als Weicheier bezeichnen. Oder Softies. Wenn Sie ihr modernes Männerbild verteidigen, wie tun Sie das dann?

Die traditionelle Männlichkeit hat sehr hohe Kosten im Sinne von Scheidungen, misslungenen Beziehungen zu Partnerinnen und Kindern. Und auch hohe gesundheitliche Kosten. Wir wissen, dass sich Männer und Jungen wesentlich häufiger das Leben nehmen als Mädchen und Frauen. Und wir wissen auch, dass es um ihre körperlich-seelische Gesundheit meist schlechter bestellt ist. Ich denke, das hängt auch mit den einschränkenden Männerbildern zusammen. Je mehr ein Mann seine Gefühle zeigen kann, umso gesünder lebt er, weil er nicht verdrängen muss. Mein Hauptargument für ein modernes Männerbild ist hohe Lebensqualität.

In der Öffentlichkeit wird seit Jahren über eine Jungenkrise geredet. Sie seien im Vergleich zu Mädchen abgehängt. Sie plädieren für ein differenzierteres Bild. Warum?

Natürlich sind manche Jungen in der Krise, aber wer dramatisiert, schwächt die Jungen. Die mediale Berichterstattung ist mir da manchmal zu pauschal, weil sie suggeriert, es gebe „die“ Jungen. Aber kein Junge ist wie der andere. Junge-sein ist unglaublich vielfältig. Und ich denke, dass man viel mehr auf die Potenziale schauen sollte. Auf das, was Jungen gelingt. Die meisten Jungen schaffen ihren Weg zum Mannsein ganz gut. Aber es gibt eine Gruppe, die sich ausgegrenzt und gedemütigt fühlt. Das ist eine Problemgruppe, um die wir uns gesellschaftlich kümmern müssen.

Was können wir tun?

Jungen wie Mädchen brauchen sichere Bindungen und konstante Beziehungen zu ihren Bezugspersonen in der frühen Kindheit, damit sie Resilienz (psychische Widerstandskraft, Anm. d. Red.) und ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln können. Besonders die erwachsenen Männer haben als Vorbilder eine große Verantwortung. Die Jungen beobachten nämlich genau, wie sich Männer verhalten. Wir brauchen authentische Männer, die ein vielfältiges Bild vom Leben als Mann vermitteln.

Die Migration wird derzeit als Problem für das Männerbild und das Verhältnis von Mann und Frau eingeschätzt. Was sagen Sie dazu?

Es gibt tatsächlich patriarchalisch geprägte Jugendliche, die aus verschiedenen Kulturen zu uns kommen. Diese haben manchmal ein dominantes Auftreten und ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Sie zu integrieren und zu überzeugen, dass Geschlechtergerechtigkeit und partnerschaftliches Verhalten hohe Werte sind, ist eine große Herausforderung, die in einer Generation wohl nicht zu schaffen ist.

Der Rapper Xatar hat in einem Interview gesagt, auch im rauen Leben auf der Straße gehe es immer um eines: Anerkennung.

Soziale Anerkennung ist etwas Wesentliches für die Ausbildung eines Selbstwertgefühls. Wir können Jungen und junge Männer dann stärken, wenn wir ihr Selbstwertgefühl stärken.