Blankenese. Geringe Beute, gewaltiges Leid: 40-Jähriger schlich sich in Zimmer hochbetagter Damen. Nun muss er für mehr als zwei Jahre in Gefängnis

Die Stufen nach oben schafft die hochbetagte Dame nicht mehr. Deshalb zieht das Gericht für ihre Zeugenaussage um, vom Verhandlungssaal im ersten Stock in einen Raum im Erdgeschoss des Blankeneser Amtsgerichts. Gebrechlich mag Karla H. sein – kraftlos ist sie nicht. Gerade hat sich der Angeklagte Ian B. bei ihr entschuldigt, da bricht es aus ihr heraus. „Ich finde es unmöglich, was Sie da abgezogen haben“, sagt die 81-Jährige mit bebender Stimme. „Alte Leute wie ich gehen nicht umsonst ins Pflegeheim. Es ist doch klar, dass bei uns nichts zu holen ist.“

Karla H. lebt in einem Rahlstedter Pflegeheim der Martha Stiftung, inzwischen schließt sie sich jeden Abend in ihrem Zimmer ein – aus Angst, dass Kriminelle wie Ian B. sie erneut heimsuchen könnten. Vor einem Jahr, es war in den frühen Morgenstunden, hatte sich der Dieb in ihr Zimmer geschlichen – während sie schlief. Er stahl ihren Goldschmuck, ihr Portemonnaie und ein Glücksschweinchen. Seit Ian B. sie heimgesucht hat, kommt Karla H. nachts nur schwer zur Ruhe.

Karla H. ist nicht das einzige Opfer des Angeklagten, der sich am Donnerstag wegen schweren Diebstahls in neun Fällen und einer Betrugstat verantworten musste. Zwischen April und Juli 2017 verschaffte sich der 40-Jährige, jeweils am frühen Morgen, Zugang zu Pflegeheimen in Ottensen, Blankenese, Rotherbaum, Rahlstedt und Rissen. Waren die Zimmer der Bewohner nicht abgeschlossen, drohte unwillkommener Besuch. Während die betagten Damen im Alter von 68 bis 91 Jahren zumeist schliefen, stahl er aus ihren Wohnräumen Bargeld und Schmuck. Fünfmal war er erfolgreich, viermal blieb es beim Versuch. Die Taten räumt Ian B. am Donnerstag ein. „Ich entschuldige mich dafür“, lässt der zierliche Angeklagte seinen Verteidiger erklären.

Ian B., geboren in Manila (Philippinen) aufgewachsen in Deutschland, wusste genau, wie er vorgehen musste. Jahrelang hatte er im Pflegebereich gearbeitet, zeitweise sogar eine kleine Pflegedienstfirma geleitet. „Ich kannte die Strukturen und Abläufe in den Pflegeheimen gut“, so der 40-Jährige. Er habe die Diebstähle begangen, um seine Drogensucht zu finanzieren. Zwei Pfeifen, gefüllt mit der harten Droge Crack, rauchte und brauchte er täglich. Der Stoff war teuer, das Geld knapp.

Am 18. April 2017 betrat Ian B. das Zimmer einer schlafenden 68-Jährigen im Pflegeheim der Auguste-Viktoria-Stiftung an der Elbchaussee. Als ihn ein Pfleger sah, flüchtete er. Schon am Tag darauf schlich er sich in das Zimmer einer 77-Jährigen im Rissener Pflegeheim Haus Wittenbergen. Der bettlägerigen Dame erzählte Ian B., er sei der neue Hausmeister, er müsse ihre Nachttischlampe kontrollieren. Dann rückte er den Notrufknopf außer Reichweite und machte sich mit ihrem Bargeld aus dem Staub. Einer weiteren 87 Jahre alten Bewohnerin der Wohnanlage schwatzte er eine Goldkette ab: Er müsse ihr Geschmeide in Verwahrung nehmen, weil es sich „in Gefahr“ befinde. Einer 91 Jahre alten Bewohnerin zog er im Schlaf drei Goldringe von den Fingern. Einer 80-Jährigen erzählte er, er sei die neue Pflegekraft. Während er mit der einen Hand ihren Arm streichelte, durchwühlte er mit der anderen ihre Nachttisch-Schublade. Und so ging es weiter, bis der Dieb am 6. Mai 2017 gegen 5 Uhr das Zimmer von Karla H. im Rahlstedter Pflegeheim betrat.

„Ich hörte ein Rascheln und bin aufgewacht“, sagt die 81-Jährige. Er habe ihr den Kleiderschrankschlüssel aus der Hand gerissen und daraus eine goldene Anstecknadel – ein Erbstück ihrer Mutter – gestohlen. „Dann hat er mir den Schlüssel wuchtig auf die Brust gedrückt und ist abgehauen“, sagt Karla H.

Seine Beute versetzte Ian B. ohne Probleme bei einem Unternehmen in St. Georg, das die Ketten, Ringe und Broschen aus Gold einschmolz. Der Junkie, der damals bei Weitem nicht so gepflegt aussah wie heute, musste mit einer Unterschrift lediglich bestätigen, dass der Schmuck ihm gehört. Es sei höchst verwunderlich, dass keine Ermittlungen gegen die Firma eingeleitet worden seien, sagt der Verteidiger des Angeklagten. „Der Verdacht der Hehlerei ist hier doch geradezu mit Händen greifbar.“

Auch wenn der Angeklagte nach eigenen Angaben seine Sucht besiegt hat – für eine Bewährungsstrafe reicht es nicht, die Richterin verurteilt den vorbestraften Mann zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Wirklich bitter sei, dass er die schutzlose Situation alter Menschen skrupellos ausgenutzt habe, sagt sie. Dabei sei die Beute doch so gering – und das Leid seiner Opfer so gewaltig.