Regisseurin Greta Gerwig gelingt mit ihrem Komödiendrama„Lady Bird“ ein detailreiches Kinodebüt

Zum amerikanischen Kinostart von „Lady Bird“ erzählte die „New York Times“ eine Geschichte aus dem Familienleben von Regisseurin und Schauspielerin Greta Gerwig. Deren Mutter habe immer eine Handvoll Geschenke im Schrank im Flur gelagert, hieß es. Der Grund: Es könne doch stets sein, dass jemand aus der Familie überraschend Besuch mitbringt – und weil dieser Besuch doch dann zufällig auch noch Geburtstag haben könnte, hortete Gerwigs Mutter eben einfach einige Geschenke auf Vorrat. Wer versteht, welche Umsicht und Fürsorge in dieser Episode steckt, besitzt auch den Schlüssel dafür, wie Gerwig ihr hoch gelobtes Regie-Debüt „Lady Bird“ inszeniert hat.

Es geht darin um Christine McPherson – und die hat im letzten Schuljahr genug von allem: Ihre Familie nervt, die Nonnen in ihrer katholischen Schule nerven, und als Christine möchte sie ohnehin schon gar nicht mehr angesprochen werden. Stattdessen sollen sie doch bitte alle nur noch „Lady Bird“ nennen. Was diese launische „Lady Bird“ in ihrem letzten Jahr an der Highschool in Sacramento, trotz des Status als Bundeshauptstadt eher zum langweiligen Teil Kaliforniens zählend, erlebt, inszeniert Gerwig (bekannt als Schauspielerin etwa aus „Frances Ha“) in einem autobiografisch aufgeladenen und liebevollen Komödiendrama.

Die schönste Szene: ein leises Gespräch zwischen einer Nonne und „Lady Bird“

Es wurde in den USA hymnisch gefeiert, obwohl doch gleichzeitig diese Ausgangslage bereits für nicht amerikanische Zuschauer die kleinen Probleme dieses Indie-Films andeutet. Egal ob leicht alternative Heldin, übergewichtige beste Freundin, hübsche Intrigantin oder heimlich schwuler Freund: Das Personal hat man so schon häufig in ähnlichen Filmen gesehen, ebenso die üblichen identitätsstiftenden Ereignisse des letzten US-Schuljahres von Prüfungen über Schulball bis hin zum gespannten Öffnen von Briefumschlägen mit College-Zusagen oder -Ablehnungen.

Die Stärke von „Lady Bird“ liegt aber wiederum genau darin, wie Hauptdarstellerin Saoirse Ronan diesen Brief öffnet. Selbstvergessen kann sie nicht einmal bis zum Wohnzimmer warten, sie lässt sich einfach auf das Rasenstück neben dem Briefkasten fallen und liest.

Genau dieser Blick auf Details hebt den Film über den Durchschnitt des Genres. Die schönste Szene ist dann auch keine übliche des Genres, sondern ein leise inszeniertes Gespräch zwischen einer Nonne, die „Lady Bird“ unterrichtet und die schon früh mehr in ihr sieht als einen sich im Weg stehenden Teenager.

Überzeugend gelingt auch die durchgängig weibliche Perspektive dieser ­Coming-of-Age-Geschichte. Gemeinsam mit Laurie Metcalf in der Rolle ihrer ­Mutter trägt Saoirse Ronan auch diesen Film; sie zeigt auch hier, dass sie zu Unrecht noch unter dem Radar vieler Zuschauer fliegt, immerhin hat „Lady Bird“ der 24-Jährigen nach „Abbitte“ im Jahr 2008 und „Brooklyn“ vor zwei Jahren ­bereits die dritte Oscar-Nominierung eingebracht.

Anders als der ähnliche „Vielleicht lieber morgen“ mit Logan Lerman und Emma Watson vor einigen Jahren traut sich „Lady Bird“ indes leider nicht, der Handlung mehr Schwere mitzugeben. Die Stärken von Gerwigs Film liegen stattdessen woanders: als Verhandlung eines Jugendabschnitts, der für die meisten Zuschauer vergangen ist und nie wiederkommt.

Es hat seinen Grund, dass Gerwig ihren Film im Jahr 2002 ansetzt. Aus einem Stoff für aktuelle Teenager wird so eine melancholische Abrechnung mit heutigen Mittdreißigern und ihren jüngeren Ichs.

„Lady Bird“ USA 2017, 95 Minuten., o. A., R: Greta Gerwig, D: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Timothée Chalamet, täglich im Abaton (OF + OmU), Blankeneser, Cinemaxx Dammtor (OF), Koralle-Kino, Passage, Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg und Zeise (OmU);
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