Zermatt.

Die Sorge wächst. Am Matterhorn an der schweizerisch-italienischen Grenze suchen Rettungskräfte nach dem seit Tagen vermissten Wintersportler, und in der Firmenzentrale in Mülheim an der Ruhr sowie in seinem Wohnort Köln bangen Kollegen und Angehörige um das Leben des Tengelmann-Chefs. Seine Rückkehr scheint mit jeder Stunde unwahrscheinlicher. Nachdem Karl-Eri­van Haub am Sonnabend verschwunden war, suchten Hubschrauber aus der Luft nach dem 58-Jährigen, Bergretter seilten sich in Gletscherspalten ab – bis heute gibt es keine Spur. Am Mittwoch behinderte das Wetter die Arbeit der Helfer: Neuschnee und schlechte Sicht erschweren die Mission Bergrettung.

Der leitende Rettungsarzt spricht von einer „geringen Chance“, Haub lebend zu finden – „die muss man realistisch sehen“, sagt Axel Mann. „Die Suche ist sehr schwierig, das Gebiet ist sehr groß und die Spuren sind verwischt“, berichtet der Sprecher der italienischen Bergrettung, Walter Milan. Das Wetter verhindere zumindest auf der italienischen Seite, dass Hubschrauber weiter aufsteigen können. Man hoffe auf ein Schönwetter-Fenster am Freitag. Dann wäre Haub seit sechs Tagen verschollen. Die Retter hoffen das Beste, doch sie befürchten das Schlimmste. „Es kann ein Wunder geschehen, aber das Wetter hilft nicht“, sagt Milan. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr schwinden Haubs Chancen, sollte er in eine Notlage geraten sein. Lawinenpiepser – viele Skifahrer tragen sie bei sich, um gefunden zu werden, falls sie vom Schnee verschüttet werden – senden nur eine begrenzte Zeit Signale.

Fest steht, dass Haub sein Hotel am Sonnabendmorgen alleine verließ und zu einer Skitour aufbrach. Den bisherigen Erkenntnissen nach fuhr er mit einer Seilbahn zum Klein Matterhorn. An der auf 3820 Metern gelegenen Bergstation verliert sich seine Spur. Um ­8.33 Uhr erlosch das letzte Signal seines Handys. Das Telefon ist aus, also abgeschaltet oder leer. „Gestützt auf diese Erkenntnisse, kann derzeit nicht gesagt werden, ob eine Straftat oder aber ein tragisches Unglück vorliegt“, sagt der Staatsanwalt von Oberwallis, Dominic Lehner.

Die Familie stellt den Rettern alle Mittel zur Verfügung

Sollte Haub in eine Gletscherspalte gestürzt sein, wäre es enorm schwierig, ihn zu finden. Er hatte nur leichte Kleidung und einen Rucksack dabei. Das Suchgebiet ist mit 240 Quadratkilometern riesig. Immerhin, in der Vergangenheit gab es Unglücksfälle, die glücklich ausgingen. Im November 2017 etwa stürzte ein Bergsteiger aus Duisburg 30 Meter tief in eine Felsspalte am Dachstein in Österreich und überlebte fünf Tage lang, bis er gefunden und gerettet wurde.

Die Familie des Milliardärs hat den Suchmannschaften jedenfalls unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt. „Aber bei den Bedingungen sind sie nutzlos“, erklärt Adriano Favre, der Leiter der Bergrettungsdienste im Aosta-Tal, der Schweizer Zeitung „Blick“.

Karl-Erivan Haub ist Vater zweier Kinder und Chef eines der größten Handelsunternehmen Deutschlands. Das „Manager-Magazin“ schätzt das Familienvermögen auf 4,2 Milliarden Euro. Nach dem zweijährigen Drama um den Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s/Tengelmann an Edeka, in dem letztlich Altkanzler Gerhard Schröder schlichtete, kam das Unternehmen wieder zur Ruhe. Zuletzt aber musste er einen Schicksalsschlag verkraften: Karl-Eri­vans Vater, Erivan Haub, der das Unternehmen über drei Jahrzehnte lang geführt hatte, verstarb Anfang März mit 85 Jahren. Sein Sohn und Nachfolger auf dem Chefsessel fand bewegende Worte für den technikfernen, aber unglaublich zielstrebigen Vater, der bis zuletzt ohne Handy durchs Leben gekommen sei. Der in den USA geborene, älteste der drei Söhne gilt Insidern nicht nur als das Gesicht, sondern auch als Gehirn der Familie. Karl-Erivan Haub hat das Unternehmen umgebaut und in den boomenden Online-Handel investiert.

Der äußerst durchtrainierte Ausdauersportler kennt das Matterhorn und den Gletscher bestens, er hat den Gipfel mehrfach bestiegen.

„Mein Bruder ist ein sehr erfahrener Skitourengänger und Bergsteiger“, betont Christian Haub in einem Schreiben an die Mitarbeiter und begründet damit seine Hoffnung, Karl-Erivan noch lebend zu finden. Ein Satz darin, der Mut machen sollte, klingt indes dennoch wenig aufmunternd: „Dennoch stellen wir uns auf eine längere Abwesenheit meines Bruders ein. Natürlich hat sich unsere Familie auf eine solche Situation vorbereitet, sodass der Geschäftsbetrieb ganz ruhig und geordnet weiterlaufen wird.“