Berlin.

China im Jahr 2098. Es gibt keine Bienen mehr, unzählige Menschen müssen jedes Jahr alle Blüten per Hand bestäuben, eine kräftezehrende und gefährliche Aufgabe, insbesondere, wenn die Arbeiter dafür auf dünnen Ästen der Bäume balancieren müssen. Jede einzelne Blüte soll mit einem kleinen Pinsel bestäubt werden, der aus eigens zu diesem Zweck erforschten Hühnerfedern hergestellt worden ist. So beginnt der Roman „Die Geschichte der Bienen“ der Norwegerin Maja Lunde, in Deutschland das meistverkaufte Buch des Jahres 2017. Zwei Jahre zuvor in ihrem Heimatland veröffentlicht, schrieb die Norwegerin darin allerdings der Zeit hinterher statt vorweg. Inzwischen sind vor allem aus China genügend Bilder bekannt, auf denen etliche Menschen – mangels Bienen – mit Leitern und kleinen Pinseln durch die Obstplantagen wuseln, um die Bestäubung der Blüten von Apfel- und anderen Bäumen von Hand vorzunehmen.

Auch hierzulande droht ein solches Szenario, wenn das mit dem Sterben von Bienen und anderen Bestäubern so weitergeht, warnen Wissenschaftler, Umweltbehörden und -Verbände. Spätestens seit vergangenem Jahr wissen wir: Die Biomasse aller Fluginsekten ist zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent (im Hochsommer bis zu 82 Prozent) zurückgegangen. Das hatten Langzeit-Erhebungen in 63 deutschen Schutzgebieten ergeben, für die der Entomologische Verein Krefeld den Inhalt von Insektenfallen ausgewertet hatte. Deutsche, britische und niederländische Forscher belegten die Arbeit später im Wissenschaftsjournal „Plos One“.

Der Schwund betrifft demnach die meisten Arten, von Bienen und Wespen über Schmetterlinge, Motten und Fliegen bis hin zu Käfern. Das sind die fliegenden Sechsbeiner, die als Bestäuber für Wild- und Nutzpflanzen und auch als Beute für Vögel wichtig sind und damit Fundament eines gesunden Ökosystems und unserer Nahrung. Es geht also um viel mehr als nervige Stechmücken und nützliche Honigbienen. Dave Goulson, Co-Autor der Studie an der britischen Sussex University, warnte gar vor einem „ökologischen Armageddon“: „Wie es scheint, machen wir große Landstriche unbewohnbar für die meisten Formen des Lebens.“

Jetzt, wo in großen Teilen Deutschlands abermals ein „Sommer ohne Summen“ ansteht, ist die Debatte um den Insektenschutz wieder neu entfacht. Zwar konnte die Studie nicht abschließend klären, welche Gründe zu dem enormen Insektenschwund führten, einen Hinweis lieferte sie dennoch: Bei den Untersuchungsflächen weisen nämlich 90 Prozent der Standorte im Umfeld intensive Landwirtschaft auf. Mehr als die Hälfte der deutschen Fläche wird landwirtschaftlich genutzt, dort gibt es kaum noch blütenreiche Wiesen. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass Monokulturen, Stickstoffeintrag, Überweidung, Wegfall von Brachen, Lichtverschmutzung sowie der Eintrag von hochwirksamen, langlebigen Pestiziden unseren Insekten den Garaus machen.

Umweltverbände dringen darauf, bei der anstehenden EU-Agrarreform den Naturschutz stärker in den Fokus zu rücken. „Wenn wir jetzt schnell handeln, sind unsere Insekten und damit auch unsere Vögel und vieles mehr noch zu retten“, sagt Till Hopf, Leiter Naturschutz und Landnutzung beim Naturschutzbund.

Die Botschaft der Bienen scheint in Berlin angekommen zu sein. Die neue Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will mit einem Aktionsprogramm rasch konkrete Schritte zum Schutz von Insekten einleiten. „Das Insektensterben und der Verlust der biologischen Vielfalt sind kein Blümchenthema. Das Artensterben aufzuhalten, ist eine der zentralen politischen Aufgaben unserer Zeit“, sagte Schulze dieser Redaktion. Sie wolle sich auch dafür einsetzen, dass sich solche Vielfalt auch für die Landwirte auszahlt, und plädiert für einen „Naturschutzfonds auf europäischer Ebene“. Schulze will das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in den kommenden dreieinhalb Jahren verbieten und fordert insgesamt einen sorgsameren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln.

Die neue Chefin im Landwirtschaftsministerium, Julia Klöckner (CDU), hält indes am Einsatz von Glyphosat fest, will ihn aber – beispielsweise durch digital gesteuerte Dosierung – weiter reduzieren, teilte ein Sprecher mit. Pflanzenschutzmittel, die Bienen schaden, sollten aber aus dem Verkehr gezogen werden, wie Klöckner in ihrer Regierungserklärung Ende März sagte. Bienen seien „systemrelevant“, der wirtschaftliche Nutzen ihrer Bestäubungsleistung entspreche gut zwei Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland.

EU will weniger Insektizide

Es heißt ja nicht umsonst „fleißiges Bienchen“: Tatsächlich hängt ein Drittel der weltweiten Nahrungsproduktion von der Arbeit der Bienen ab. Hierzulande bestäuben die Bienen rund 80 Prozent der Nutz- und Wildpflanzen – von der Karotte über die Tomate bis hin zum Klee. Ein einziges Honigbienenvolk kann pro Tag drei Millionen Obstblüten bestäuben. Allerdings hätte die Biene Maja allen Grund, mit Karel Gott einen Blues anzustimmen. Laut Roter Liste sind von den 560 Wildbienenarten in Deutschland, zu denen auch die Hummeln gehören, bereits jetzt über die Hälfte in ihrem Bestand gefährdet. Weitere 39 Arten bereits ausgestorben.

Schuld am Massensterben sind neben der Varroamilbe vor allem auch Pflanzenschutzmittel. Erst Ende Februar bestätigte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auf Grundlage von 1500 ausgewerteten Studien das Risiko für Wild- und Honigbienen, das von bestimmten Insektiziden (Neonicotinoide) ausgeht. Dadurch verlieren Bienen die Orientierung, ihre Lernfähigkeit leidet, sie sterben früher. Die EU will deshalb künftig bestimmte Wirkstoffe verbieten. Denn die Alternativen aus dem Fernen Osten muten dann doch eher gruselig an. So soll es im bienenarmen Japan zwar bald wieder am Himmel brummen, allerdings durch den Einsatz von Drohnen. Japanische Forscher haben ein kleines Fluggerät entwickelt, mit dem sich Blumen bestäuben lassen – für eine Welt ohne Insekten.