Berlin.

Schon seit Jahresbeginn hatte der chinesische Smartphonehersteller Huawei für sein neues Flaggschiff P20 getrommelt, vergangene Woche stellten die Chinesen ihr neues Gerät in Paris der Welt vor und ab diesem Freitag ist es im Handel erhältlich. Wie schwer der Vergleichsdruck zu Samsung und Apple auf dem Unternehmen lastet, zeigte die gut einstündige Präsentation in Paris. Huawei-Boss Richard Yu zeigte fast nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Folien, auf denen das P20 (649 Euro) und dessen größeres Schwestergerät P20 Pro (899 Euro) in irgendeiner Hinsicht besser sind als Samsungs Galaxy S9+ und Apples iPhone X. Bloßes Marketinggedröhne? Oder hat Huawei vielleicht doch einen Smartphone-Überflieger entwickelt? Wir konnten das P20 Pro vorab testen. Die Ergebnisse:

Ausstattung: Spitzenniveau – aber kein Überflieger

Eines der besonderen Merkmale von Huawei-Smartphones ist stets der Preis: Verglichen mit den Summen, die Konkurrenten für ihre Flaggschiffe zum Verkaufsstart verlangen, sind Huawei-Geräte in aller Regel günstiger. Einer der Gründe dafür ist geschicktes Weglassen. Während etwa Samsung in die neusten Galaxy-Modelle stets alles einbaut, was technisch machbar ist, bewiesen die Chinesen in der Vergangenheit ein Händchen dafür, Details einzusparen, die man im Alltag nicht vermisst.

Beispiel dafür wäre etwa Bluetooth: Während Apple und Samsung bereits auf Bluetooth 5.0 setzen, steckt im P20 noch ein Bluetooth 4.2-Chip – schließlich braucht man die neue Version aktuell noch nicht. Auch das OLED-Display des P20 löst im Vergleich etwas niedriger auf. 2280 mal 1080 Bildpunkte – Googles Pixel 2 XL kommt hier auf 2880 mal 1440, Samsungs S9 sogar auf 2960 mal 1440 Pixel. Das bringt gewisse Vorteile für alle, die etwa Googles Daydream-VR-Brille nutzen möchten – im Alltag ist der Unterschied aber nicht erkennbar. Die Einsparung kommt im P20 auch der Batterielaufzeit zugute, da weniger Bildpunkte berechnet und angesteuert werden müssen. Darüber hinaus ist das OLED-Display des P20 Pro aber sehr hell und muss sich im direkten Vergleich mit dem Display des S9+ nicht verstecken. Den Vergleich zum leicht blaustichigen Pixel 2 XL gewinnt das P20 Pro klar. Im günstigeren P20 steckt übrigens kein OLED-, sondern ein LC-Display. Bei einem kurzen Blick während der Vorstellung in Paris sah das aber ebenfalls sehr anständig aus.

In Sachen Batterie hat Huawei beim P20 Pro nicht gespart: Mit 4000 mAh (P20: 3400 mAh) bietet das Gerät mehr Energiereserven als die meisten Konkurrenten, im intensiven Testbetrieb waren die versprochenen zwei Tage Akkulaufzeit zwar nicht zu erreichen, im entspannteren Alltagseinsatz könnte das aber durchaus gelingen.

Als Prozessor kommt erneut die Huawei-Eigenentwicklung Kirin 970 zum Einsatz. Der liefert in Leistungsmessprogrammen wie Antutu sehr gute Werte (rund 210.000 Punkte), an den Exynos-Chip in Samsungs S9 (über 245.000 Punkte) kommt er nicht heran, geschweige denn an das Leistungsmonster A11 der aktuellen iPhones. Dafür soll der speziell für Bilderkennung und andere KI-Aufgaben gedachte NPU-Rechenkern im Kirin 970 leistungsfähiger als etwa bei der Konkurrenz von Apple sein, behauptet Huawei. Ob das in der Praxis stimmt, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Klar ist dagegen, dass 128 GB interner Speicher und sechs GB RAM bei anderen meist nur gegen Aufpreis zu haben sind.

Huaweis Kamera-System ist der neue Foto-Referenzstandard

Der eigentliche Star des neuen P20 und vor allem des P20 Pro ist die Kamera. Gemeinsam mit dem deutschen Traditionsunternehmen Leica hat Huawei für das P20 Pro ein Kamera-System mit drei Linsen entwickelt: einem Sensor mit 40 Megapixeln (MP) Auflösung, einem Schwarz-Weiß-Sensor mit 20 MP und einem 8-MP-Sensor mit zweifacher Tele-Linse. Das 250 Euro günstigere P20 verfügt dagegen nur über zwei Linsen, die gleiche 20-MP-Schwarz-Weiß-Kamera und einen 12-MP-Sensor.

Bereits heute ist es bei Top-Geräten üblich, auf der Rückseite zwei Kameras zu verbauen: Dabei kommt meist eine Weitwinkel- und eine Telelinse zum Einsatz, sodass Nutzer auch ein wenig zoomen können. Außerdem erlauben die leicht verschobenen Sichtachsen zweier Kameras, den Vordergrund zu erkennen und anschließend künstlich den Hintergrund unscharf zu zeichnen – der sogenannte Bokeh-Effekt. Huawei setzt die Kameras etwas anders ein: Hier dient der Schwarz-Weiß-Sensor nur für die Schärfe. Dessen Bildinformationen werden mit den Bildern der beiden anderen Farbsensoren zusammengerechnet. Das Ergebnis ist vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen beeindruckend: Nach dem Auslösen wird der Nutzer gebeten, sein Telefon noch einige Sekunden still zu halten. Bereits währenddessen kann man auf dem Display-Sucher sehen, wie sich das Foto aufhellt und man gerade in dunklen Situationen mehr Details erkennt als mit dem bloßen Auge. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine klassische Langzeitbelichtung, wie sie auch mit einem Fotoapparat möglich ist – die Bilder wären ohne Stativ viel zu verwackelt und unscharf.

Huawei nutzt das Bildmaterial seiner drei Kameras und die Rechenleistung seines Chips hier offenbar so geschickt, dass mit freier Hand Fotos gelingen, die mit anderen Smartphones nicht möglich sind. Die viel gelobte Kamera des iPhone 8 (bis auf den zweiten Bildstabilisator identisch mit der des iPhone X) kann hier längst nicht mithalten. Selbst das Galaxy S9+ kommt an die Ergebnisse des P20 Pro nicht heran – und das obwohl Samsung die Lichtstärke der Kamera als Hauptneuerung beworben hatte.

Auch bei Tageslicht glänzt die Kamera des P20 Pro und zeigt auf vielen Bildern feinere Details als die übrigen Testgeräte. Dass dabei in der Vergrößerung leichte Farbsäume erkennbar sind, stört nicht weiter. Auch der Porträt-Modus mit Bokeh-Effekt ist wirklich gut, die Trennung von Vorder- und Hintergrund gelang in unserem Test in der Regel sehr sauber, die Details im Motiv waren ausgezeichnet. Was Fotos angeht, hat die Smartphonewelt mit dem P20 Pro eine neue Messlatte, die es zu überbieten gilt.

Für Videos gilt das nur mit Einschränkungen: Zwar ist die Bildqualität auch hier exzellent und es bietet wie Samsung und Sony eine Super-Zeitlupe mit 960 Bildern pro Sekunde – allerdings kann man hochaufgelöste 4k-Videos weder mit 60 Bildern pro Sekunde aufzeichnen, noch ist in dieser Auflösung die ansonsten sehr gute Bildstabilisierung aktiviert. Möglich, dass Huawei diese Option per Update noch nachliefert – derzeit bedeutet es für Freunde von superscharfen Videos aber einen Nachteil.

Fazit: Huawei setzt erstmals
technische Maßstäbe

Lange galten Huawei-Telefone als günstigere Alternative zu den teuren Topgeräten von Samsung, Apple oder Google. Mit dem P20 und dem P20 Pro wendet sich das Blatt: Huawei ist spätestens jetzt die erste Wahl und legt die Messlatte für Smartphone-Fotografie ein beträchtliches Stück nach oben.

Denn die beste Kamera steckt derzeit im P20 Pro, die zweitbeste – zumindest laut den Testern vom branchenweit anerkannten DXO-Mark – im kleineren P20. Dass die Geräte beim Marktstart dabei auch noch deutlich günstiger sind als die Konkurrenten, macht sie zu einer klaren Kaufempfehlung für alle, die mit ihrem Smartphone tolle Fotos machen wollen.