Washington.

Cameron Kasky ist nervös, als er auf die Bühne in der Nähe des Kapitols in Washington tritt. Kasky (17), der das Schulmassaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, vor gut sechs Wochen überlebt hat, ist eines der dominierenden Gesichter der „Nie wieder“-Bewegung. So eine Menschenmasse hat er noch nicht vor sich gehabt.

„500.000 mindestens“, so schätzt ein Polizist, drängen sich am Sonnabend auf der Pennsylvania Avenue nahe dem Weißen Haus. Der „Marsch für unsere Leben“ ist da mangels Platz schon längst zur mächtigsten Standpauke seit den Anti-Vietnam-Krieg-Demonstrationen in den 1960er-Jahren geworden. „Willkommen zur Revolution“, schreit Kasky, „wir sind der Wandel!“ Die 17 Toten von Parkland „werden unser Land verändern“. Volksvertretern, die strengere Gesetze verhindern, prophezeit er das politische Ableben. „Entweder ihr repräsentiert das Volk oder ihr seid raus.“ Prompt antwortet die Menge mit: „Wählt sie ab! Wählt sie ab!“ Der Wunsch nach Veränderung hat seinen Schlachtruf gefunden. Die Kids von heute sind in Washington, wie gleichzeitig an 800 anderen Orten zwischen Los Angeles und New York, in der Mehrheit. Und sie versprechen einen langen Atem. „Das hier ist der Beginn eines Marathons“, sagt der 17-jährige Jaden Crocker aus Baltimore, Maryland, dem Abendblatt. „Wir wollen leben und wir werden nicht eher Ruhe geben, bis die Politiker reagiert haben.“ Beifall unterbricht das Gespräch. Auf der Bühne hat gerade die 11-jährige Naomi Wadler über die Nöte von jungen afroamerikanischen Mädchen gesprochen. Anrührend. Und jetzt kommt Yolanda. „Ich habe einen Traum“, ruft die neun Jahre alte Enkeltochter der vor 50 Jahren erschossenen Bürgerrechts-Ikone Martin Luther King, „dass genug genug ist.“ Jaden Crocker schaut ehrfürchtig. Vater Ben kriegt feuchte Augen.

Dass am Ende nur der Gang an die Wahlurne zählt, ist allen Rednerinnen und Rednern klar, die – unterbrochen von Gesangseinlagen von Miley Cyrus, Demi Lovato, Jennifer Hudson und Ariana Grande – oft unter Tränen über ihre Erfahrungen mit Waffen berichten. Den Älteren im Publikum wird plötzlich klar: Da ist seit dem Schulmassaker von Columbine 1999 eine ganze Generation mit der täglichen Angst vor dem Tod groß geworden. Und jetzt haben sie genug.

Emma González, der weibliche Star der Protest-Bewegung, sagt es erst ohne Worte. Minutenlang, so lange, wie der Attentäter Nikolas Cruz zum Töten brauchte, schweigt sie. Gänsehaut-Moment. Später wünscht sich die 18-Jährige, dass „sich ganz viele von uns in die Wähler-Register eintragen“. Die Demonstranten wollen nur noch Abgeordnete nach Washington entsendet wissen, die Sturmgewehre verbieten, wie sie der Mörder von Parkland benutzt hat. Ebenso überdimensionierte Munitions-Magazine, die massenhaftes Töten binnen Minuten erst möglich machen. Alles Dinge, die der Kongress und Präsident Trump nicht anpacken wollen. Weil die Waffenlobby NRA (angeblich) mit dem Groll von fünf Millionen Mitgliedern droht. Zwei von ihnen, Jack Kersey und sein Bruder David, sind aus Richmond, Virginia, in die Hauptstadt gereist.

„Waffen töten niemanden“, steht etwas schief geschrieben auf ihrem Plakat, „Menschen töten.“ Das Recht auf Waffenbesitz, sagen sie, kann man doch nicht einfach allen Amerikanern wegnehmen, nur weil „ein Irrer übergeschnappt ist“.

Linda Calderon (17) ist elf Stunden lang aus Kentucky im Bus hergefahren. Sie weiß, dass eine satte Mehrheit der Amerikaner für strikte Hintergrund-Checks beim Kauf von Waffen ist und einem Verbot von halbautomatischen Schnellfeuergewehren keine Träne nachweinen würde. „Trump sollte das nicht ignorieren“, sagt sie. „Wir bitten nicht um schärfere Gesetze. Wir verlangen sie.“

Weltweit gab es ebenfalls Solidaritätsaktionen, so in Sydney, Tel Aviv , London – und in Hamburg, wo am Sonnabendnachmittag etwa 100 Teilnehmer am Rathausmarkt demonstrierten.