Eben noch ist er von Wehrmachtssoldaten gejagt worden, da steht der junge Gefreite plötzlich vor einem leeren Offizierswagen, inklusive Uniform im Verschlag. Den warmen Mantel kann er in den kalten Wintertagen gut brauchen, doch kaum hat er ihn an, ahmt er, noch spielerisch, als sei er auf der Bühne, den schnarrenden, herrischen Ton eines Befehlshabers nach. Den darf er gleich beibehalten, als vor ihm ein Soldat (Milan Peschel) steht, offenbar ein Deserteur wie er selbst. Den unterstellt der 19-jährige Willi Herold (Max Hubacher), um nicht aufzufliegen, reflexartig seinem „Kommando“.

Aber mit dem humorvollen „Hauptmann von Köpenick“, der zum Synonym für den blinden Autoritätsgehorsam der Deutschen geworden ist, hat dieser Film nicht viel zu tun. Und zu lachen gibt es auch nichts. Schon in der nächsten Ortschaft zwingt man den Uniformträger, einen Plünderer zu erschießen, der wie er selbst in den letzten Kriegstagen nur überleben wollte. Herold tut es, ohne mit der Wimper zu zucken.

Immer mehr Versprengte laufen ihm zu, er bildet eine regelrechte „Kampfgruppe Herold“. Dazu gehört auch Kipinski, ein Deserteur. Bundesfilm-Preisträger Frederick Lau („Victoria“) gewinnt in der Rolle dieses rauflustigen Gefreiten fix Konturen. In seiner Figur wird Herold seinen Meister finden, denn vom ersten Moment an durchschaut Kipinski das falsche Spiel des Hauptmanns

Und auch wenn er sich vor echten Offizieren nicht ausweisen kann, weiß Herold andere durch sein barsch-autoritäres Auftreten einzuschüchtern. Einmal eine fremde Identität angenommen, findet der junge Mann eine perverse Lust daran, erliegt dem Rausch der Macht. Und wird gänzlich enthemmt, als er in einem Gefangenenlager voller Deserteure und Plünderer ohne standrechtliches Urteil ein wahres Massaker anrichtet. Kleider, so muss man Gottfried Kellers Novelle umdeuten, Kleider machen Täter.

Es ist 13 Jahre her, dass Robert Schwentke einen Film in Deutschland gemacht hat. Für Hollywood hat er Mainstream-Produktionen wie „Flightplan“, „R.E.D.“ und zwei „Divergent“-Filme gedreht. Nun aber ist der Regisseur zurückgekehrt, um ein Projekt zu realisieren, das er schon seit Langem verfilmen wollte. Und das er nun endlich, dank seiner Hollywood-Meriten, finanziert bekam: die wahre Geschichte von Willi Herold, dem „Henker vom Emsland“, der 1946 von den Briten für seine Kriegsverbrechen hingerichtet wurde. Mit gerade mal 21 Jahren.

Es ist ein Monster von einem Film. Woran weder die vielen Stars selbst in kleinen Rollen noch die stilisiert distanzierenden Schwarz-Weiß-Bilder von Kameramann Florian Ballhaus etwas ändern können. Anfangs glaubt man noch an ein Umschwenken des falschen Hauptmanns. Aber der macht ständig weiter, und die Rotte um ihn herum ebenso. Konsequent nimmt der Film die Täter-Per­spektive ein, ohne jede Erlösung, zwingt so, dies quasi als Komplize mitzuerleben.

„Der Hauptmann“ ist nicht nur ein Totentanz auf die Nazis, sondern eine Parabel über den Irrsinn des Krieges und über die Unmenschen und Untaten, die er gebiert. Ein wichtiger Film. Und doch fragt man sich unweigerlich, wer das bis zum bitteren Ende aushalten kann.

„Der Hauptmann“ D/F/PL 2017, 119 Minuten, ab 16 Jahren, Regie: Robert Schwentke, Darsteller: Max Hubacher, Frederick Lau, Milan Peschel, täglich im Passage,
Othmarschen Park