Die Immobilienblase rund um die Disney-World-Vergnügungsparks im Herzen Floridas ist geplatzt. Billigabsteigen, Fast-Food-Buden und Souvenirläden reihen sich in Kissimmee entlang des sechsspurigen Highways, der im Freizeitpark-Paradies nach Orlando führt. Hier wohnen längst nicht mehr nur Low-Budget-Touristen. Hier leben inzwischen auch die Ausgestoßenen der amerikanischen Gesellschaft. Menschen, die sich die Miete für eine eigene Wohnung nicht mehr leisten können, die sich von Job zu Job hangeln, damit sie Woche für Woche das Geld für ein billiges Motelzimmer aufbringen können.

Die sechsjährige Moonee (Brooklynn Prince) wächst mit ihrer Mutter Halley (Bria Vinaite) im lila getünchten Motel Magic Castle Inn & Suites auf. Täglich starten nebenan lärmende Hubschrauber zu Rundflügen über das wenige Kilometer entfernte Disney World, das für die, die hier leben, unerreichbar bleibt. Die schlagfertige Moonee bekommt nur wenig mit von den existenziellen Sorgen der Erwachsenen. Mit ihren Freunden Scooty (Christopher Rivera) und Jancey (Valeria Cotto) zieht sie abenteuerlustig um die Häuser, immer zu derben Streichen aufgelegt, immer mit losem Mundwerk.

Als großherziger Motel-Manager erhielt Willem Dafoe eine Oscar-Nominierung

In wunderschönen, großflächigen Bildern des Kameramannes Alexis Zabé erlebt man eine schicksalhafte Gemeinschaft, die selbst nur selten Schönes erlebt. Einmal ziehen Moonee und ihre Freunde durch das Motel und erklären lapidar, wer da hinter den Türen wohnt. „Der Mann, der hier lebt, wird sehr oft verhaftet“, sagt Moonee. Oder: „Die Frau, die hier wohnt, glaubt, sie ist mit Jesus verheiratet.“ Dann stehen sie vor der „verbotenen Tür“. Und schon sind sie drin.

Independent-Regisseur Sean Baker, der seinen Film „Tangerine“ per iPhone gedreht hatte, öffnet mit „The Florida Project“ den Blick auf die Unterschicht am Stadtrand, der die Teilhabe am sozialen Leben versagt bleibt. Gute Seele dieses gar nicht magischen Magic Castle ist der großherzige Motel-Manager Bobby, hinreißend gespielt von Willem Dafoe. Er erhielt dafür eine Oscar-Nominierung.

Weil Sean Baker sein Sozialdrama mit dem Blick durch die Augen eines Kindes erzählt, wird dieser Film nie schwülstig, kitschig oder anklagend, sondern zeigt die Verhältnisse so rau und nüchtern, wie sie nun mal sind. Für Moonee, Scooty und Jancey ist diese armselige Welt ein einziger großer Abenteuerspielplatz. Sie fluchen, was das Zeug hält. Sie schmeißen Fensterscheiben ein. Sie zündeln in verlassenen Appartement-Anlagen. Sie legen die gesamte Hotelelektrik lahm. Sehr zum Ärger von Manager Bobby, der sich aber mit liebevoller väterlicher Strenge um die stromernden Kinder kümmert.

Halley, die versucht, ihrer Tochter eine gute Mutter zu sein, verstrickt sich immer mehr im Netz eines Lebens, mit dem sie partout nicht klarkommt. Um sich und ihre Tochter über die Runden bringen zu können, versucht sie sich vergeblich als Kellnerin, als Nachtclub-Tänzerin, verkauft Billig-Parfüm an betuchte Disney-Touristen und auch ihren Körper. Als schließlich das Jugendamt auf den Plan tritt, kann auch der stoisch gutherzige Bobby nicht mehr viel ausrichten.

„The Florida Project“ – der Titel bezieht sich auf den Arbeitstitel für Disneyland, als sich dieses noch in der Planungsphase befand – ist ein auf vielerlei Weise außergewöhnlicher Film. Hollywoodstar Willem Dafoe spielt hier an der Seite von Schauspielanfängern und Laien. Regisseur Sean Baker, der sehr auf die Kraft der Improvisation vertraut, hat Bria Vinaite auf Instagram entdeckt und engagiert. Und einige Bewohner des Magic Castle Inn spielen sich selbst. Denn dieses Motel gibt es wirklich. Man kann es über gängige Internetseiten buchen – wenn die Bewertungen auch abgrundtief schlecht ausfallen. Vor allem aber hat Baker mit Brooklynn Prince eine so hyperaktive wie altkluge Hauptdarstellerin gefunden, die diesen wunderbaren kleinen Film zu etwas ganz Besonderem macht.

The Florida ProjectUSA 2017, 115 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Sean Baker, Darsteller: Willem Dafoe, Brooklynn Prince, Bria Vinaite, täglich im 3001 (OmU), Abaton, Studio-Kino