Wenn Mann Rot sieht, kann das zum Vergnügen werden. Von einem unerwarteten Einkaufserlebnis in Hamburg

Auch in einem Alter, für das es zwar viele, aber leider immer jugendfreie Umschreibungen gibt, tut man manches dennoch zum ersten Mal. Lippenstift kaufen zum Beispiel. Wie es dazu kam, soll hier keine Rolle spielen, die Ausgangssituation war jedoch folgende: Die einzige Chance, die Eskalation einer sehr angespannten Lage abzuwenden, bestand darin, einen Lippenstift zu erwerben. Natürlich nicht irgendeinen, sondern exakt den, dessen klägliche Reste ich bei der Einkaufs-Odyssee mit mir führte. Die Schwierigkeit? Er wurde längst aus dem Sortiment genommen. Also hatte ich ein Alternativprodukt mit demselben Farbton zu erwerben.

Nun: Zwischen Himmel und Erde gibt es offenbar mehr Rottöne, als meine Schulweisheit sich träumen ließ. Doch das war nur die erste Überraschung. Wirklich erstaunt haben mich die Mitarbeiterinnen all der Drogerien, Parfümerien und Kaufhaus-Fachabteilungen, die ich kennenlernen durfte. Hatte ich mich auf genervtes, leicht überhebliches Personal eingestellt (wie im Baumarkt, wenn man nicht weiß, was Firstüber-gangsziegel sind), wich meine Befürchtung rasch Bewunderung. Die Damen machten sich fürsorglich und mit heiligem Ernst an die Arbeit, berieten sich mit Kolleginnen, malten sich sämtliche Hand- und Armflächen zu Vergleichszwecken mit roten Punkten an. Und wenn ich die (lächerliche) Meinung äußerte, „der dort“ komme der Sache doch recht nahe, hießen sie mich vorwurfsvoll schweigen. Schließlich erwarb ich den Lippenstift, dessen Farbe sich nach der fachkundigsten aller Beratungen als würdig (und später als Erfolg) erwies. Und zum allerersten Mal hatte ich eine leichte Ahnung davon, warum manche Frauen Shoppen als Vergnügen betrachten ...