Karlsruhe.

Die unauffällig mildgrünen getrockneten Blättchen in der Tüte auf dem Labortisch des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) riechen nach Heu. Moringa oleifera soll das sein, eine extrem nährstoffreiche Pflanze aus Nordindien und als sogenanntes Superfood schwer in Mode.

Ob es sich tatsächlich um diese Pflanze handelt, ist rein optisch kaum zu erkennen. Die Firma, die sie vertreibt, will es vom KIT-Zellbiologen Peter Nick genau wissen. Zur Sicherheit. Denn immer wieder verbergen sich hinter exotischem Superfood wie Chia-Samen, Goji-Beeren und Tulsi andere Pflanzen als auf der Verpackung deklariert. Das ist bestenfalls Täuschung der Verbraucher. Schlimmstenfalls kann es schädlich sein.

„Wenn ein Superfood in Mode kommt, entsteht in kurzer Zeit eine hohe Nachfrage“, erklärt Nick. „Es gibt inzwischen einen riesigen Markt für solche Heilpflanzen, die eigentlich nur in bestimmten Regionen vorkommen.“ Importeure suchen dringend Nachschub – die Folge sei ein blühender Plagiate-Handel. Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht das ähnlich. „Man muss sich bei den plötzlich nachgefragten Mengen von Superfoods schon fragen, wo diese eigentlich herkommen“, sagt sie, „so schnell lassen sich Anbaugebiete ja nicht aus dem Boden stampfen.“

Händler bestellen aus Versehen Nelke statt Bambus

Nick nahm die Diskrepanzen zwischen tatsächlicher Ernte und den Exportmengen zum Anlass, angebliche Superfoods genauer unter die Lupe zu nehmen. Er entwickelte „eine ganze Batterie von Tests“, mit deren Hilfe er die genetischen Barcodes der „echten“ Pflanzen von denen anderer Arten unterscheiden kann und die auch bei Pulver oder getrocknetem Superfood funktionieren. Mithilfe sogenannter Referenzpflanzen ermittelt er den genetischen Fingerabdruck, der zu einem bestimmten Superfood-Gewächs gehört. Will er dann prüfen, ob die Blätter einer Probe damit identisch sind, startet er ein mehrstündiges Verfahren.

Im Falle des von der Firma gebrachten Moringa-Produktes läuft das so: Ein Löffelchen der verarbeiteten Blätter wird in einen Mörser gegeben, mit flüssigem Stickstoff begossen und zermahlen. Eine Lösung kommt hinzu, die DNA wird extrahiert und dann typische Abschnitte in einem Gerät, dem PCR-Cycler, so lange vervielfältigt, bis sie erkennbar sind. Dann werden die Sequenzen auf ein Gel aufgetragen, in UV-Licht sichtbar gemacht und mit der DNA der Referenzpflanze verglichen.

Aber warum der ganze Aufwand? „Aus gutem Grund ist es in Deutschland die Regel: Was draufsteht, muss auch drin sein“, erklärt Nick. Andernfalls kann es für Verbraucher unangenehm oder sogar gefährlich werden. Als Beispiel nennt Nick den Bambustee-Boom vor zwei Jahren. In den ihm vorgelegten Proben sei nirgends Bambus drin gewesen, sondern chinesische Nelke – offenbar eine sprachliche Verwechslung. Denn im Chinesischen wird Nelke „Steinbambus“ genannt: „Die Hersteller suchten verzweifelt nach Bambus. Sie fanden Steinbambus, bestellten ihn – und orderten unwissentlich Nelke.“ Je nach Wirkstoff kann das fatale Folgen haben: Schwangere Frauen sollten Nelkentee beispielsweise nicht trinken. Nick empfiehlt Händlern, Superfood immer testen zu lassen, um böse Überraschungen zu vermeiden.

Überhaupt ist die Sache mit dem Superfood heikel. „Es gibt ja keine rechtliche Definition von Superfood, jeder kann das auf seine Produkte schreiben“, sagt Michaela Barthmann vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart. Vor allem der Handel im Internet sei schwer zu kontrollieren. Generell mahnen Experten: Je exotischer die Pflanze, desto häufiger gebe es Rückstände wie Schwermetalle oder Pestizide.

„Wir hatten 2016 eine Moringa-Probe mit so hohem Nikotinrückstand, dass wir sie als gesundheitsschädlich beurteilen mussten“, erzählt Barthmann. Die Zeitschrift „Ökotest“ fand vor knapp einem Jahr in 20 von 22 Produkten – darunter Chia-Samen, Goji-Beeren, Weizengras-Pulver, Hanf-Samen, Rohkakao und Moringa-Pulver – Schadstoffe, darunter erhöhte Mengen an Pestiziden, aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOAH), Schimmelpilzen, Cadmium und Blei.

Auch wenn es sich gut verkauft: Wissenschaftliche Nachweise dafür, dass Superfood aus exotischen Ländern gesünder ist als einheimisches Obst und Gemüse, gibt es nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) nicht. „Deutschland ist kein Vitaminmangelland, und es sind keine exotischen Früchte notwendig, um unseren täglichen Nährstoffbedarf zu decken“, sagt eine Sprecherin.

Vielleicht haben neue Erkenntnisse dazu beigetragen, dass sich die Superfood-Begeisterung inzwischen ein wenig abgeschwächt hat: Der Gesamtumsatz exotischer Superfood-Artikel wie Goji-Beeren, Chia, Amaranth, Quinoa oder Matcha-Tee ging nach Angaben von Katharina Feuerstein, Expertin beim Düsseldorfer Marketing-Beratungsunternehmen IRI, im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent zurück. Viele sähen Superfood inzwischen kritisch, meint Iris Lehmann vom Max-Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. „Man sollte die Verbraucher hier nicht unterschätzen.“