Berlin.

Einen eigenen Namen hatte der kleine Afrikanische Waldelefant schon lange. Loxodonta cyclotis – Kreisohr – hatten Wissenschaftler ihn genannt, zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern cyklos (Kreis) und afti (Ohr). Seine runden Läppchen unterscheiden ihn von der wesentlich größeren Verwandtschaft, die durch die afrikanische Steppe stapft.

Unterschiedliche Lebensräume und Höhenunterschiede erschweren amouröse Begegnungen zwischen Wald- und Savannenelefant. Nur selten entstehen Mischlinge, und diese sind für Artgenossen so unattraktiv, dass sie kaum Partner finden. Trotzdem galt Loxodonta cyclotis bislang als eine Unterart des Afrikanischen Savannenelefanten Loxodonta africana. Artenschutzprogramme behandeln beide als eine Spezies. Das könnte sich ändern. Eine jetzt in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) veröffentlichte Studie zeigt: Der letzte gemeinsame Verwandte der beiden Elefanten lebte vor etwa drei Millionen Jahren – deutlich vor dem ersten modernen Menschen.

Jetzt schreiben die Forscher die Familiengeschichte des größten lebenden Landsäugers um. Denn aus der Untersuchung ergaben sich noch weitere Änderungen am Stammbaum der grauen Riesen. Dafür holte sich ein internationales Forscherteam unter Leitung des Genetikers David Reich von der Harvard Medical School nicht nur das Erbgut der lebenden Vertreter, sondern auch längst verstorbener Arten ins Labor – vom Mammut bis zum Mastodon. Zehn Jahre dauerte die Entschlüsselung aller Daten für das „Elephant Genome Project“.

Erbgutanalyse von Mammut bis Mastodon

„Wir haben den ersten vollständigen Stammbaum des Elefanten mit kompletten genetischen Sätzen von sieben Arten erstellt“, sagt Co-Autor Michael Hofreiter, Professor für Evolutionäre Adaptive Genomik an der Universität Potsdam. In seinen Laboratorien wurden einige der genetischen Proben der urzeitlichen Elefanten-Verwandtschaft auf die Analyse vorbereitet. „Die fossilen Gebeine werden in einer Knochenmühle zermahlen. Das Pulver wird in einer chemischen Flüssigkeit aufgelöst, aus der sich dann die DNA isolieren lässt“, erklärt Hofreiter. Schwerpunkt seiner Arbeit an dem Projekt war der Europäische Waldelefant.

Der Gigant unter den Dickhäutern übertraf mit einer Schulterhöhe von über vier Metern selbst das Wollhaarmammut und hinterließ seine ersten Spuren vor rund 800.000 Jahren – auch in Deutschland. Die letzten seiner Art, die im heutigen Mittelmeerraum vor der einbrechenden Eiszeit Wärme suchten, starben nach Hofreiters Schätzung vor rund 115.000 Jahren aus. Das Erbgut des Europäischen Waldelefanten war damit das älteste unter den Proben und stellte die Forscher vor einige Hürden. „Je länger die Knochen im Sand liegen, umso mehr Zeit haben Mikroorganismen, um die darin enthaltene Erbsubstanz zu zersetzen“, sagt Hofreiter. So könne aus dem Knochenpulver häufig nur noch Bakterien-DNA isoliert werden.

Die Forscher hatten Glück. Ein etwa 120.000 Jahre alter Knochen aus der Nähe von Halle enthielt genug Gen-Material, um den Urzeit-Riesen zu durchleuchten. Die Ergebnisse überraschten: „Ein Drittel des Erbguts stammt vom Afrikanischen Waldelefanten und ebenso viel vom Mammut“, sagt Hofreiter.

Um zu verstehen, warum dieses Ergebnis Elefanten-Enthusiasten so begeistert, hilft ein Blick ins Familienalbum: Die Wurzel aller Elefanten liegt in Afrika. Hier trennte sich eine genetische Linie und wanderte vor rund vier Millionen Jahren Richtung Europa. Aus den Tieren, die hier verweilten, gingen die Mammuts hervor. Ihr populärster Vertreter, das Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius), passte sich mit zotteligem Fell an die rapide sinkende Temperatur an und überlebte bis vor etwa 10.000 Jahren – wenige Exemplare soll es bis vor etwa 4000 Jahren gegeben haben. Einige Tiere zogen weiter und besiedelten Asien, wo sie in Form des Asiatischen Elefanten (Elephas maximus) bis heute leben. Ursprünglich galt auch der Europäische Waldelefant als Abkömmling dieser Linie.

Doch die genetische Untersuchung lässt nun auf eine andere Entwicklung schließen. „Die Linien von Afrikanischem und dem späteren Europäischen Waldelefanten trennten sich in Afrika. Der Europäer war irgendwann deutlich größer und muss eine offene Waldlandschaft bewohnt haben, der kleinere Afrikanische Waldelefant den Dschungel“, sagt Hofreiter. Doch trotz der ökologischen Trennung fanden Vertreter beider Arten wohl wieder zueinander. „Es ist bei Säugetieren sehr ungewöhnlich, dass sich einmal getrennte Arten wieder kreuzen“, erklärt Hofreiter. Die Nachkommen zogen erst vor etwa einer Million Jahren nach Europa. Hier bandelten sie mit dem Steppenmammut (Mammu­thus trogontherii) an, einem Vorgänger des Wollhaarmammuts. Daraus ging der Europäische Waldelefant hervor.

Mittelmeer-Elefanten in Haustiergröße

„Einige seiner Nachkommen flüchteten vor der Kälte auf die Mittelmeerinseln, wo sie auf Haustiergröße schrumpften“, sagt Hofreiter. Kleinster bekannter Vertreter ist das Kreta-Zwergmammut Mammuthus creticu, das eine Schulterhöhe von einem Meter gehabt haben soll. Doch von den Zwergen gibt es kaum genetische Daten. Sie gingen nicht in die Studie ein.

Geschafft haben es neben den drei lebenden Arten, Europäischem Waldelefanten und Wollhaarmammut auch das Präriemammut (Mammuthus columbi) und das Amerikanische Mastodon. Letzteres verabschiedete sich lange vor den anderen aus der Linie und breitete sich unabhängig in Nordamerika aus, wo es noch bis vor 10.000 Jahren lebte. „Das Mastodon diente als Referenz dafür, in welche Richtung die Evolution bei den späteren Elefanten gelaufen ist“, sagt Hofreiter. „Das entschlüsselte Erbgut der ersten sieben Arten steht jetzt öffentlich in einer Gendatenbank“, sagt Hofreiter. Wie viele Vorfahren sich zwischen ihnen noch tummelten, sollen weitere Studien zeigen.