Rellingen. Peter Pries und Helfer erforschen Reste einer mittelalterlichenBurg. Sie stießen auf ein Gefäß, das noch viel älter ist

Was macht ein Archäologe im Winter, wenn, wie in den vergangenen Wochen, der Boden in seinem Forschungsareal hartgefroren und schneebedeckt ist? „Er sortiert, registriert, fotografiert und archiviert seine Artefakte“, sagt Peter Pries und liefert gleich die Erläuterung dazu: „Artefakte sind von Menschenhand bearbeitete Fundstücke.“ Mehr als 2000 dieser Raritäten wie Scherben, Metallreste, Schlacken, Steine oder auch verkohltes Holz hat der Rellinger Pensionär mit rund einem Dutzend Helfern, auch überwiegend im Rentenalter, aus dem Waldboden geklaubt und zusammengetragen.

Das Team ist seit 2008 in einem Privatforst nahe der Tangstedter Wulfsmühle einer Siedlung aus dem frühen Mittelalter (achtes bis elftes Jahrhundert) auf der Spur, deren Überreste die Existenz der sogenannten Wulfsburg oder Wolvesburg bestätigen.

Pries ist mit 78 Jahren als einziger Profi auch Chef der Gruppe: Im Ruhestand hat der frühere Post-Manager die zuvor als Hobby betriebene Altertumsforschung mit einer akademischen Ausbildung gekrönt. Nach sechs Semestern schloss er sein Studium der Vor- und Frühgeschichte an der Hamburger Universität 2012 mit der Note „gut“ ab. Seitdem darf er den akademischen Grad Magister Artium (Meister der Künste) führen. Gewissermaßen im Gegenzug können junge Archäologiestudenten aus Hamburg ihre ersten praktischen Erfahrungen im Tangstedter Forst sammeln.

Mittlerweile ist die Erkundung des rund 800 Quadratmeter umfassenden Gebiets weitgehend abgeschlossen, sodass Pries für dieses Jahr ein letztes Mal die Genehmigung für Ausgrabungen beim Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein beantragt hat. Eigentlich ging es ja seit 2008 in erster Linie um die Suche nach der legendären Burg. Doch die fleißigen Altertumsforscher drangen nebenher noch in viel weiter zurückliegende Epochen vor. Dabei fanden sie Artefakte aus der Eisenzeit (750 vor bis fünftes Jahrhundert nach Christus) und der mittleren Steinzeit (8000 bis 4000 vor Christus).

Scherben bringen offenbar manchmal wirklich Glück: In 50 Zentimeter Tiefe entdeckte Hartmut Boller vor eineinhalb Jahren unterhalb einer mittelalterlichen Siedlungsabfallgrube das erste von schließlich 350 wahrlich steinalten Bruchstücken im Boden. Der tiefschürfende Rentner und frühere Lebensmittelchemiker ist seit Jahren enger Mitarbeiter von Peter Pries. Gemeinsam mit Lothar Dobkowitz, einem weiteren Hobbyforscher, gelang es in wochenlanger Arbeit, die Keramikteile sorgsam mit Spachteln und Kellen sowie in behutsamer Handarbeit freizulegen. Nach nicht minder vorsichtiger und intensiver Reinigung begann das Experiment, die Teile zusammenzufügen.

„Das war wie ein dreidimensionales Puzzlespiel“, erinnert sich Pries. Dobkowitz schaffte es schließlich, die Scherben mit Holzleim zusammenzukleben und, wo nötig, die Struktur zu verstärken. Dabei entstand ein Vorratsgefäß im Format 50 mal 50 Zentimeter, das seitdem das eindrucksvollste Gesamtkunstwerk unter den Artefakten darstellt. Der Archäologe ist sich sicher, dass der Behälter etwa in der Zeitenwende, also dem Übergang von „vor“ zu „nach“ Christi Geburt vor etwa 2000 Jahren, entstanden ist. „Dies lässt sich mit dem Vergleich anderer Exemplare aus jener Zeit zuverlässig bestimmen“, erläutert Pries.

Er geht davon aus, dass das in Handarbeit ohne Töpferscheibe geformte Exemplar zur Aufbewahrung von Getreide gedient hatte. Darauf weisen drei Ösen am oberen Rand hin, die dazu dienten, den Behälter aufzuhängen, sodass sich keine Nagetiere über den Inhalt hermachen konnten. Das rekonstruierte Gefäß ist im Pinneberger Heimatmuseum gut verwahrt. Für das Abendblatt gewährte der Archäologe jetzt exklusiv einen Fototermin mit dem Prachtstück.

Die Burg hatte einen Wachturm in Fachwerkbauweise

Mit der Suche nach Überresten der mittelalterlichen Burg geht es im Frühjahr weiter. Im Forst wurden seit 2008 fünf Sektionen zur archäologischen Erkundung ausgewählt. Zudem gelang es den Altertumsforschern, den Verlauf eines Ringwalls zu untersuchen. Diese Einfriedung war mit Palisaden befestigt. Außerdem geht Pries davon aus, dass sich innerhalb des Ovals eine als Motte bezeichnete Kleinburg befunden hat. Darauf weisen Grundsteine hin, die als Fundament für einen etwa fünf Meter hohen Aussichts- und Wachturm in Fachwerkbauweise gedient haben.

Vor sieben Jahren stießen auch Pries und Boller in höhere Regionen vor. Mit Unterstützung der Luftfahrtgesellschaft Air Hamburg starteten sie auf Vermittlung des Abendblatts zu einem Erkundungsflug über dem historischen Areal. Vom Kleinflugzeug aus ließ sich der Verlauf des Burgwalls genau rekonstruieren und fotografieren.

Eine prächtige Ritterburg wie man sie aus dem Rheinland oder Bayern kennt, hat es im Tangstedter Forst nie gegeben. Die auch als Burghorst bezeichnete Anlage war wohl Heimat einer mittelalterlichen Wohngemeinschaft. Im Oval des Walls lebten bis zu 20 Menschen, vermutet Pries, die als Dienstadel für die Eigentümer aus dem späteren Geschlecht der Schauenburger Grafen tätig waren. Sie wohnten in einfachen Behausungen, es dürfte drei Gebäude gegeben haben.

Sogar ein Bootsanleger war vorhanden. Der damals noch schiffbare Fluss – die heutige Pinnau in anderem Verlauf – war eine wichtige Voraussetzung, um das Baumaterial für die Burg heranzuschaffen. Mit der Lage auf einem Geesthügel galt das Gebiet über einen Zeitraum von mehr als 10.000 Jahren immer mal wieder als begehrter Lebensraum für die Vorfahren der Tangstedter.

In den Resten der Burg lagen auch Steine aus Helgoland

Ein besonderes Kuriosum hat Peter Pries gut verwahrt: Es handelt sich um rote Flintsteine, die er im Forst entdeckte. „Dieses Gestein gibt es nur auf Helgoland“, weiß der Altertumsforscher. Vermutlich wurde dieses 3000 Jahre alte Rohmaterial vom roten Felsen aus über die Nordsee und dann über Eiderstedt zu Lande sowie über weitere Flussläufe die spätere Pinnau hinauf bis zur Wulfsburg transportiert.

Pries zieht Bilanz und freut sich, dass es gelungen ist, den Verlauf des Ringwalls und die Existenz des Burgturms nachzuweisen. Nach Abschluss der diesjährigen Saison möchte der Rellinger dafür sorgen, dass das Wulfsburg-Areal mit Informationstafeln auf Stelen ausgeschildert wird. Pries hofft dabei auf Unterstützung von Sponsoren. Auf dem sonst nicht öffentlich zugänglichen Gelände könnten dann später mit Einwilligung der Eigentümerfamilie Druve, die auch den Golfclub Gut Wulfsmühle betreibt, Führungen veranstaltet werden.