Einfühlsam inszeniert Regisseur Luca Guadagnino im Drama „Call Me By Your Name“ das Coming-out eines Jungen

Was für ein Idyll. Ein schöner alter Palazzo, mitten im Grünen, mit einem kleinen See zum Baden gleich nebenan, und der Gardasee ist auch nicht weit. Da würde man sofort Ferien machen wollen. La dolce far niente! Für den 17-jährigen Elio (Timothée Chalamet) ist dies allerdings die Hölle auf Erden. Der Junge steckt mitten in der Pubertät. Die Hormone spielen verrückt. Wie viel spannender wäre es da, mit seinen Kumpels in der Stadt abzuhängen. Stattdessen muss er die Sommer­wochen mit seinen Eltern in ihrem Landhaus verbringen. Für ihn Langeweile pur. Auch mit einem Mädchen vor Ort macht er eher aus Langeweile herum.

Und als wäre das nicht schlimm genug, bekommt sein Vater, ein Kunstprofessor, auch noch Besuch von einem amerikanischen Studenten. Für diesen Oliver (Armie Hammer) muss Elio außerdem sein Zimmer räumen, muss in die kleinere Stube nebenan ziehen und sich mit dem 24-Jährigen zudem das Badezimmer teilen. Eine Zumutung. Noch dazu, da dieser attraktive, virile Mann sich ständig der Familie entzieht, bei den Mädchen des Ortes sogar zur unschlagbaren Konkurrenz wird. Und Elio immerzu aufzieht. Aber irgendwann muss sich der Junge eingestehen, dass der Zorn auf den älteren Gast ganz andere Gründe hat. Dass der ihn mehr anzieht, als er zugeben möchte. Und das bringt seine Gefühle erst recht durcheinander.

Ein Film, der vor allem über Blicke und Gesten erzählt wird

„Call Me By Your Name“, die Adaption des gleichnamigen Romans von An­dré Aciman, spielt im Jahr 1983, als man dem Thema Homosexualität, vor allem im katholischen Italien, noch deutlich reservierter gegenüberstand. Luca Guadagnino, der das Buch verfilmt hat, ist zuvor vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Tilda Swinton bekannt geworden, mit der frühen Dokumentation „Tilda Swinton. The Love Factory“. Immer ging es bei ihm um Liebe, Sinnlichkeit und um Gefühle, die ein Leben durcheinanderwirbeln. Für die Romanadaption hat sich der italienische Regisseur mit James Ivory zusammengetan, Kultregisseur von Filmen wie „Zimmer mit Aussicht“ oder „Was vom Tage übrig blieb“, der mit „Maurice“ auch schon einen dezidierten Klassiker des Queer Cinema geschaffen hat. In jener Dekade, in der dieser Film spielt. Für „Call Me By Your Name“ hat der inzwischen 89-Jährige nurmehr das Drehbuch geschrieben. Regisseur Guadagnino inszeniert mit betörender Sinnlichkeit, weniger über Dialoge als vor allem über Andeutungen, Blicke und Gesten – und wie sie auch immer wieder missverstanden werden können.

Das Verständnis, die Toleranz für Homosexualität hat sich in der Gesellschaft eindeutig erhöht. Und wer weiß: Vielleicht schaut man eines Tages diesen Film sogar, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob da nun Männlein mit Männlein oder Männlein mit Weiblein zusammenkommt.

„Call Me By Your Name“ I, F, USA, Brasilien 2017, 132 Min., ab 12 J, R: Luca Guadagnino,
D: Timothée Chalamet, Armie Hammer, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, täglich imAbaton, Savoy, Studio; www.CallMeByYourName.de