Othmarschen. Für 35.000 Euro wurde Arbeitszimmer von Otto Ernst im Christianeum aufgebaut. Jetzt ist es weg

Im Sommer 2004 herrschte im Christianeum gute Stimmung. Die damalige Kultursenatorin Karin von Welck und Hinnerk Fock, seinerzeit Altonas Bezirksamtsleiter, fanden sich in dem ehrwürdigen Gymnasium ein, um den Abschluss eines spektakulären Projekts zu feiern. Es gab Rundgänge mit Erläuterungen, Reden wurden gehalten, Erinnerungsfotos geschossen. Im Mittelpunkt des Trubels stand ein Kunstwerk, das im Christianeum neu erschaffen worden war: das Arbeitszimmer des Schriftstellers Otto Ernst (1862 bis 1926).

Mit großem Aufwand hatte man das komplette Interieur in Ernsts ehemaliger Villa an der nach ihm benannten Otto Ernst Straße aus- und in der Schule wieder eingebaut. Feinste Jugendstilmöbel standen nun dort, wo sonst vor allem gelernt wird, auch das Original-Eichenparkett, ein Hinterglasbild, Stuck, sogar die Fenster. Alles sollte im Christianeum zu neuem Glanz gelangen – auf ewige Zeiten, wie damals viele glaubten.

Doch wer sich das Dichterzimmer heute angucken möchte, findet es nicht mehr. Mittlerweile wurde es wieder ausgebaut, verpackt und in einem Abstellraum eingelagert. Das ganze Projekt ist zu einer beispiellosen Posse geworden, und das Schlimmste dabei: Niemand hat eine Idee, was aus dem Zimmer werden soll.

Begonnen hatte alles mit einer großzügigen Geste. Otto Ernsts Tochter Senta-Regina Möller-Ernst hatte den Nachlass ihres Vaters über viele Jahre wie eine Gralshüterin bewahrt und in der Villa an der Otto-Ernst-Straße fast nichts verändert. Das prunkvolle Zimmer war 1903/04 nach Ernsts Vorstellungen eingerichtete worden, nachdem der ehemalige Lehrer als Schriftsteller mit seinen Büchern zu Geld gekommen war (siehe Beistück).

1984 vermachte die als „Appelschnut“ bekannte Möller-Ernst das Arbeitszimmer dem Christianeum. Ihr Wunsch war, dass es dort erhalten werden solle, unter anderem als Tagungsraum für Versammlungen und Lesungen. Gleichzeitig sollte auf diese Weise an den Schriftsteller erinnert worden. 1998 starb Möller-Ernst 101-jährig.

Unter Federführung des damaligen Schulleiters Ulf Andersen wurde der Plan dann umgesetzt – nicht zur einhelligen Begeisterung des Kollegiums und der Eltern, wie heute zu hören ist. „Das Christianeum war da durchaus gespalten“, sagt Dagmar von Hurter, Vorsitzende des Schulvereins und langjährige Vorsitzende des Elternrats. Hinzu kam, dass der abgelegene, fensterlose Raum manchen nicht als idealer Standort erschien. Ulf Andersen holte unter anderem den Verein Freunde des Christianeums und die Vereinigung ehemaliger Christianeer mit ins Boot, warb in der Elternschaft mit viel Engagement für das Projekt.

Mit dem Restaurator Hans Martin Burchard wurde ein Experte für den Ausbau gefunden, der auch den ideellen Wert seiner Arbeiten sieht. Burchard wandte viel Zeit für die komplizierte Aktion auf. Er vermaß, zeichnete, baute ein und aus – in unzähligen Stunden, für die er weit unter Marktpreis arbeitete. 35.000 Euro wurden für Aus- und Wiedereinbau des Zimmers nach offizieller Darstellung aufgewendet, Geld, das auch von vielen Spendern kam. Durch den Einbau der Fenster mit dahinter angebrachten Lichtern war die Illusion schließlich nahezu perfekt. Wer das Zimmer betrat, wähnte sich beinahe wieder in Ernsts altem Haus.

Doch das Interesse an dem Zimmer ebbte mit der Zeit ab. Die geplanten Veranstaltungen kamen nur sehr sporadisch zustande. Einige Lehrer nutzten den nur indirekt beleuchteten, schwer zu belüftenden Raum gelegentlich für Elterngespräche, ab und zu tagte der Schulverein dort.

Die Möbel können nicht ins Altonaer Museum

Nach zwölf Jahren kam dann das Aus für das Zimmer, als die Schulbehörde im Zuge der aufwendigen Schulsanierung alle Räume im Christianeum erfasste. Dabei stellte sich heraus, dass der Raum, der das Otto-Ernst-Zimmer beherbergte, angesichts hoher Schülerzahlen nicht zweckentfremdet werden dürfe, sondern für den Unterricht beziehungsweise schulische Veranstaltungen genutzt werden müsse. Es folgte der Ausbau, den Dagmar von Hurter heute als „schwierige, bittere Entscheidung“ bezeichnet. Von Hurter sagt aber auch: „Dieses Zimmer ist ein Museumszimmer. Es passt letztlich nicht in eine Schule, das muss man ganz klar feststellen.“

Was nun mit den Möbeln geschehen soll, ist unklar. Ein Versuch, das Zimmer dem Altonaer Museum zu überlassen, scheiterte. Das Problem: Der Vertrag, den Otto Ernsts Tochter im Zusammenhang mit dem Vermächtnis abfassen ließ, legt das Chistianeum verbindlich als Standort fest. Davon abgesehen, sieht sich das Museum nicht in der Lage, den Raum angemessen zu präsentieren. „Nach meinem Kenntnisstand ist die Übergabe des Zimmers in den Besitz des Altonaer Museums sowohl rechtlich nicht möglich, als auch logistisch nicht ohne Weiteres durchführbar“, sagt Matthias Seeberg, Sprecher der Stiftung Historische Museen Hamburg. „Aktuell gibt es auch keinen passenden Raum im Museum, wo das Zimmer aufgebaut werden könnte.“

Restaurator Hans Martin Burchard bezeichnet die ganze Aktion heute als Trauerspiel. „Leider passt das in die heutige Zeit. Wir verlieren unsere kulturellen Wurzeln und damit unsere kulturelle Identität“, sagt er. Was die Zukunft der wertvollen alten Möbel betrifft, sieht Burchard schwarz: „Ich fürchte, dass dieses Zimmer nie wieder aufgebaut wird.“