Ein „Gap Year“ zur Orientierung wirdbei Schulabgängern immer beliebter

in Praktikum, ein Auslandsaufenthalt, drei Jobs – mit ihrer Bilanz nach einem „Gap Year“ zwischen Schule und Studium ist Pia Siebenbrodt zufrieden. Schließlich hat die 19-Jährige nicht nur neue Erfahrungen gesammelt, ihre Persönlichkeit entwickelt, Verantwortung übernommen, sondern auch eine Studienentscheidung getroffen.

Jura, Lehramt oder doch lieber Kulturwissenschaften? Die Abiturientin aus Trittau war zunächst unentschlossen: „Es hat sich bei mir fast wöchentlich geändert, was ich machen wollte.“ Da war das Naheliegende erst einmal das Einfachste: ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Kindertagesstätte in St. Georg. Als die dann aber doch kurzfristig absagte, kam Pia in Zugzwang: „Ich bin dann Hals über Kopf als Au-pair nach Paris gegangen.“

Drei Monate später war sie wieder zu Hause: „Ich fühlte mich in der Familie unglücklich und total unfrei.“ Was sich zunächst nach einem Versagen anfühlte, hatte auch sein Gutes: „Ich habe gelernt, mich zu organisieren, Verantwortung für zwei Kinder und den Haushalt zu übernehmen und mich durchzusetzen.“ Zudem hatte die Abiturientin plötzlich unfreiwillig Zeit gewonnen, sich mit der Studienentscheidung zu beschäftigen: Was kann ich, was will ich, wohin passe ich? Fragen, die viele Schulabgänger aufschieben. Sie wollen erst einmal ins Ausland gehen, in der Hoffnung, dass sich dabei schon eine Berufswahl ergeben werde. Das tut es aber nicht, so die Erfahrung von Karriereberaterin Ragnhild Struss: „Nach der Rückkehr ist vor der Abfahrt! Die Entscheidung über die Zukunft fällt ja nicht vom neuseeländischen Sternenhimmel.“

Neuseeland und Australien zählen zu den beliebtesten Auslandszielen von Schulabgängern. Es ist daher längst ein Markt von Entsendeorganisationen entstanden, die „Gap Year“-Programme anbieten. „Der Begriff steht für eine Auszeit vom Alltagsleben und wird inzwischen mit Auslandsaufenthalten junger Menschen in Verbindung gebracht“, sagt Manuela Bauer. Die Wirtschaftsgeografin promoviert über das Phänomen des „Gap Year Travel“: Junge Leute helfen bei der Ernte, kümmern sich um Kinder oder unterstützen bei der HIV-Prävention, weil sie „Neues erleben“ und ihre Sprachkenntnisse weiterentwickeln möchten, so Bauer. Darunter sind auch Studierende nach dem Bachelorabschluss und fertige Azubis, aber die größte Zielgruppe sind Schulabgänger, insbesondere Abiturienten, so die Doktorandin: „Das Durchschnittsalter meiner Probanden ist bei Antritt des Gap Years 18,9 Jahre.“

Wenn Abiturienten die Zeit nach der Schule für die Persönlichkeitsentwicklung und Berufsorientierung nutzen, ist das absolut sinnvoll, findet Ragnhild Struss: „Man sollte in dem Brückenjahr ein gutes Gespür für sich selbst entwickeln.“ Dafür könne es hilfreich sein, ein Reisetagebuch zu führen und eigene Fortschritte zu notieren. Der zweite Baustein, der aus einem Gap Year ein sinnvolles Jahr macht, heißt „Informationssicherheit“: Manche Studiengänge verlangen zusätzliche Prüfungen oder Nachweise wie Sprachtests oder Bewerbungsmappen, etwa für Architektur oder Design, oder ein Vorpraktikum für technische Studiengänge, um das man sich rechtzeitig kümmern sollte. „Es geht auch um den bewussten Umgang mit der Zeit“, sagt die Karriereberaterin.

Als Pia noch Schülerin war, hat sie den Organisationsaufwand für ein Auslandsjahr – Visa, Gesundheitszeugnisse, Bewerbungsfristen – unterschätzt: „Für das Abi hat man sich oft totgelernt und will erst mal Pause machen“, erklärt sie. Heute würde sie das anders machen: „Man braucht einen guten Plan, im Zweifel mit Back-up“. Nach dem Abschied vom Au-pair bestand Pias „Notfallplan“ aus einem dreimonatigen Praktikum bei einem Jugendaustauschdienst sowie Jobs auf dem Weihnachtsmarkt, beim Bäcker, in einem Callcenter. Und überall löcherte sie die Kollegen nach ihrem Werdegang, las Studienordnungen, absolvierte Studienwahltests und stellte fest: „Man kann mit vielen unterschiedlichen Fächern in einer kulturellen Organisation arbeiten, aber in die Schule führt nur das Lehramt.“ Inzwischen studiert Pia Deutsch und Geschichte für das höhere Lehramt an der Universität Greifswald und ist damit voll und ganz zufrieden: „Ich fühle mich wesentlich bereiter für das Studium, als ich es vor einem Jahr gewesen wäre.“