Washington.

Wenn Harvey Weinstein nach dem Flug im Privatjet in New York oder Los Angeles zu seinem Chauffeur ins Auto stieg, konnte er sich auf eines immer verlassen: Kondome in ausreichender Zahl und Caverject-Spritzen. Wirkstoff: Alprostadil. 105 Dollar für 20 Milligramm. In den USA ein gängiges Mittel gegen Erektionsstörungen.

Ohne die auf Firmenkosten gekauften chemischen Helfer konnte der im Mittelpunkt des zurzeit größten Skandals um sexuelle Gewalt gegen Frauen stehende Ex-Hollywood-Produzent seine unersättliche Gier nach außerehelichem Beischlaf nicht stillen.

Das bizarre Detail tauchte zum ersten Mal Anfang Dezember in einem Report der „New York Times“ auf. Darin dokumentierten die Rechercheure das spinnwebenartige Netzwerk der Komplizen aus Assistenten, Anwälten, Vorständen und PR-Agenten, die Weinstein über Jahre dabei unterstützt haben, sich auf perverse Art und Weise zu befriedigen und Frauen zu unterdrücken. Was damals unterging im Wust der Anschuldigungen, hat jetzt Rechtskraft erlangt.

In einer 38-seitigen Anklageschrift listet New Yorks Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman Dutzende Fälle von „unablässiger sexueller Belästigung, Einschüchterung und Diskriminierung“ in der zwischen Verkauf und Bankrott schwebenden Weinstein Company auf. Danach waren Personalabteilung, Geschäftsführung, Vorstand und Hausjuristen nicht nur im Bilde über die monströse Übergriffigkeit des Filmgewaltigen. Sie haben auch aktiv dabei geholfen, Weinsteins frauenverachtende Eskapaden zu ermöglichen, zu decken, zu vertuschen und, wenn nötig, die finanziellen Kollateralschäden (Schweigegelder) abzufedern.

Etliche Angestellte reichten formale und inoffizielle Beschwerden ein, wenn Weinstein in einem für Frauen „toxischen Betriebsklima“ seine Triebhaftigkeit (auch gegen sie) rücksichtslos auslebte. Trotzdem sei im untersuchten Zeitraum 2005 bis 2017 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem Weinstein für sein „bösartiges und ausbeuterisches“ Verhalten zur Rechenschaft gezogen wurde. „Wir haben so etwas Abscheuliches noch nie gesehen“, sagte Schneiderman.

Weinsteins Promi-Verteidiger Ben Brafman konterte, sein Mandant sei „nicht fehlerfrei, aber mit Sicherheit nicht kriminell“ gewesen. Was in einem wahrscheinlicher gewordenen Prozess zu beweisen wäre.

Zur Sprache würde dort kommen, dass im Unternehmen, das Harvey Weinstein mit seinem Bruder Rob führte, eine sehr unchristliche „Bibel“ existierte. Konkret handelte es sich um ein Handbuch zur Erleichterung des seriellen Missbrauchs. Darin enthalten: Vorlieben des Chefs. Eine Liste regelmäßiger Sex-Opfer („Friends of Harvey“). Und Anweisungen, wie die beinahe täglich in den Terminkalender eingepflegten Schäferstündchen („personals“) anzubahnen sind.

Namen von noch unberührten Kandidatinnen wurden in elektronischen Registern mit Sternchen versehen. Damit man nicht durcheinanderkam. Mit der Aufrechterhaltung dieses Quasi-Harems war laut Staatsanwaltschaft ein ganzer Schwung von Assistentinnen beschäftigt. Vornehmste Aufgabe der sogenannten Flügelfrauen war es, Weinstein auf Reisen und im Berufsalltag regelmäßig Partnerinnen fürs Bett zur Verfügung zu stellen. Sie mussten Blumen, Geschenke, Kleider und feine Unterwäsche für die Gespielinnen besorgen. Abgerechnet wurde mit der Scheckkarte der Firma. Funktionierte die Versorgung mit Frauen nicht reibungslos, beschimpfte Weinstein Mitarbeiterinnen vor Publikum unflätig und fragte sie in militantem Ton, ob „ihr Tampon zu tief sitzt“.

Um Weinstein nicht zu vergrätzen, wurde in einem Fall eine Expertin von London nach New York eingeflogen. Ihre Aufgabe war es, den Assistentinnen zu demonstrieren, wie sie sich zum Wohlgefallen Weinsteins „besser anziehen und riechen können“. Wer durchfiel oder Weinstein nicht zu Diensten war, musste sich im Stil Al Capones die Drohung gefallen lassen, getötet zu werden. Der Produzent brüstete sich mit Kontakten zu den Geheimdiensten. An die Personalabteilung der Weinstein Company erging die Weisung, dass Frauen, die Weinstein physisch zu Diensten waren, mit karrierefördernden Maßnahmen zu bedenken seien: Jobs oder kleinere Filmrollen.