Berlin.

„Hoch die Tassen“ heißt es an diesem Wochenende für viele Fans der fünften Jahreszeit. Und selbst wer sich nicht im Karnevalskostüm auf die Straße traut, hat in seinem Leben wohl schon mal einen Kater niedergerungen. Was genau die üble Verfassung nach einem Trinkgelage hervorruft, ist nicht eindeutig erforscht – Theorien und vermeintliche Gegenmittel hingegen gibt es viele. Um die Wirkung eines von Start-up-Tüftlern entwickelten Mittels zu untersuchen, starteten Biologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die größte bisher durchgeführte Kater-Studie. 240 Probanden betranken sich im Namen der Wissenschaft. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor. Und sie widerlegen einige Alkoholmythen.

Es klingt nach einer guten Party – vier Stunden gab es so viel Bier, Weißwein, Radler oder Weinschorle, wie man wollte. Im Gegenzug mussten die Probanden der „German Hangover Study“ des Molekularbiologen Patrick Schmitt Urin abliefern, sich wiegen und vermessen, ihren Blutdruck und den Gehalt an bestimmten schützenden Stoffen in der Haut bestimmen lassen. Zehn Stunden später folgte das gleiche Programm. Auf einem Fragebogen kreuzten die Probanden zusätzlich an, wie stark ausgeprägt bestimmte Katersymptome sind – insgesamt 46, von Kopfschmerz bis Übelkeit. „Veröffentlicht ist die Studie noch nicht, aber die Ergebnisse stehen fest“, sagt Studienleiter Schmitt, der am Institut für molekulare Physiologie forscht. In der kommenden Woche will er seine Arbeit an unabhängige Gutachter verschicken, die darüber entscheiden, ob die Ergebnisse in einem renommierten Fachjournal erscheinen.

Das Körpergewicht spieltkeine große Rolle

In der Studie habe sich unter anderem gezeigt, dass die Beziehung von Körpergewicht zu Alkoholmenge bei der Entstehung des Katers wohl keine große Rolle spielt. „Also eine sehr leichte Frau kann verhältnismäßig viel und ein schwerer Mann verhältnismäßig wenig Alkohol trinken, und beide können am Ende ähnlich starke Katersymptome haben“, erklärt Schmitt. Auch hätte sich gezeigt, dass Alkoholgenuss nicht zu übermäßig starkem Flüssigkeitsverlust führt – so fiele Dehydrierung als Hauptursache für Kopfschmerz und Co. weg. Da die Teilnehmer keine größeren Mengen Urin produzierten als in nüchternem Zustand, verloren sie auf diese Weise auch nicht – wie häufig angenommen – verstärkt Nährstoffe. Eine weitere Ursache, die die Autoren ausschließen konnten. Trotzdem hätten Probanden, die vor und nach dem Alkoholgenuss Vitamine und Mineralstoffe schluckten, weniger Beschwerden gehabt, sagt Schmitt. „Erklären können wir diesen Mechanismus anhand unserer Daten nicht.“ Dafür hätten sie etwas anderes belegt: „Alles deutet darauf hin, dass oxidativer Stress einer der Hauptfaktoren für den Kater ist.“

Oxidativer Stress entsteht, wenn sich im Körper besonders viele sogenannte freie Radikale bilden – aggressiver Stoffwechselabfall, der Körperzellen schädigen oder gar zerstören kann, indem er ihnen Elektronen klaut. Jegliche Art von Stress kann die Zahl dieser räuberischen Moleküle ansteigen lassen – auch ein feuchtfröhlicher Abend. Denn bei der Verstoffwechselung von Alkohol entsteht zum Beispiel das giftige Abbauprodukt Acetaldehyd, das, bis es von der Leber in harmlosere Essigsäure umgewandelt wird, zu Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwitzen führen kann.

Wie groß der Einfluss von Acetaldehyd tatsächlich ist und ob es in der Kater-Phase überhaupt eine Rolle spielt, ist allerdings umstritten. Auch hormonelle Effekte, speziell der Anstieg des dehydrierenden Hormons Vasopressin, veränderte Blutzuckerwerte oder ein Elektrolyt-Ungleichgewicht gelten als mögliche Ursache für den schmerzerfüllten Folgetag – eindeutige Belege gibt es bislang für keine der Annahmen.

Dass sich in seiner Studie nun der oxidative Stress als mögliche Ursache hervorgetan hat, dürfte in Schmitts Sinn sein. Neben seiner Tätigkeit an der Uni Mainz betreibt er eine auf Nahrungsergänzungsmittel spezialisierte Sachverständigenkanzlei sowie eine Produktentwicklungsfirma. Und gemeinsam mit dem Mainzer Start-up One:47 hat er einen Anti-Hangover-Drink entwickelt, der auf eine Kombination von Mineralstoffen und Antioxidantien setzt. Antioxidantien opfern sich den freien Radikalen freiwillig und schützen so die Körperzellen, sie stecken unter anderem in frischem Obst und Gemüse.

In der Studie bekamen die Probanden das Getränk vor und nach dem Trinken. Eine Vergleichsgruppe trank ein Placebo, eine weitere eine Elektrolytlösung: Salz, Zucker und Mineralstoffe wie Natrium, Magnesium und Zink in Wasser. Probanden, die den Originaldrink schluckten, hätten am Folgetag die wenigsten Kater-Beschwerden gehabt, so Schmitt. Die Elektrolyt-Gruppe hätte zudem weniger starke Symptome gezeigt als die Placebo-Gruppe.

Ob Antioxidantien aus Nahrungsergänzungsmitteln wie dem Kater-Getränk tatsächlich den gleichen Effekt haben wie solche aus frischen Lebensmitteln, sei nicht erwiesen, sagt Professor Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. „Für die enthaltenen Extrakte von Kaktusfeige, Weidenrinde, Ingwer und Gingko gibt es Nachweise darüber, dass sie im Reagenzglas wirken. Am Menschen ist nichts davon in klinischen Studien gezeigt“, so der Experte. Weidenrinde könne schmerzlindernd wirken, „allerdings müsste dazu eine deutlich höhere Menge in dem Produkt enthalten sein. Dann aber müsste es als Medikament verkauft werden.“

Ein ganz ähnliches Konzept wie One:47 verfolgt auch die Firma Sejomi mit ihrem Pulver „Hang & Over“, das unter anderem im Drogeriemarkt dm verkauft wird, oder auch der in Apotheken-Onlineshops erhältliche „Kater-Schreck“ der Firma nu3. Auch hier finden sich neben Süßungsmitteln und Aromen alle Ingredienzien einer Elek­trolytmischung, Hang & Over setzt zusätzlich auf die Kaktusfeige. „Die Kaktusfeige liegt sehr im Trend bei Mitteln, die gegen Kater helfen sollen“, sagt Smollich. Dass ihr Extrakt die unangenehmen Symptome lindern könne, habe sich in Studien bisher nicht bestätigt. Nur eine US-Untersuchung aus dem Jahr 2004 kam zu einem positiven Ergebnis. Diese habe jedoch methodisch schwere Mängel gehabt, wie es in einer Veröffentlichung des Forschungsverbunds Cochrane Österreich heißt.

Wer eines der Anti-Kater-Mittel ausprobieren wolle, könne das sorglos tun, meint Smollich. „Schädlich sind sie nicht.“ Bedenklich sei aber die Botschaft, dass durch deren Verzehr Alkohol weniger schädlich sein könnte, was den Konsum verstärken könne. Wer auf den positiven Effekt zusätzlicher Mineralstoffe setze, könne aber auch zu einer günstigen Elektrolytmischung aus der Apotheke greifen. Oder etwas essen: „Um die Mineralstoff-Dosierung der Nahrungsergänzungsmittel zu erreichen, tut es auch eine übliche Kneipenmahlzeit, etwa ein Stück Fleisch mit Pommes und Majo, eine Salatbeilage und hinterher eine Handvoll Erdnüsse“, sagt Smollich.