„Ich hoffe schon, dass ich zweimal die Woche ordentlich tanzen kann“, sagt eine der Protagonistinnen in Irene Schüllers sehenswerter Dokumentation „Tango zu Besuch“. „Sonst wird’s eng auf Dauer.“ Meint: Sonst steigt der Frustlevel, fehlt das Ventil, aber auch die Möglichkeit, ganz unmittelbar Nähe zu erleben. In unserer Gesellschaft seien Berührungen Mangelware, konstatiert ein anderer Tänzer. „Der Tango ist ein akzeptierter Rahmen für körperliche Begegnungen.“

Fünf Deutsche, die allesamt dem Tango verfallen sind, hat Schüller für ihren Film begleitet, zeigt sie beim Tanz, aber auch privat, lässt sie von ihren Sehnsüchten erzählen und auch von eher nüchternen Gedanken zu Familien- und Karriereplanung. Während der eine es besonders schätzt, wie eindeutig die Rollen beim Tango verteilt sind (Er führt, sie folgt), sucht die andere nach Ausdruckmöglichkeiten jenseits rigider Vorgaben.

In jedem Moment spürbar ist die Leidenschaft, mit der alle am argentinischen Nationaltanz hängen, wie sie nach Möglichkeiten suchen, immer und immer wieder zu tanzen, diese Minuten der Innigkeit zu erleben. „Je schöner der Moment, desto größer der Entzug“ heißt es an einer Stelle. Klingt nach Sucht, aber das nimmt keiner der hier Porträtierten als Problem wahr. Schließlich kommt die nächste Milonga, der nächste Tangoabend, bestimmt.

Dass alle fünf Single sind, ist wohl kein Zufall. Zwar herrscht beim übrigens sehr schön gefilmten Tangotanz große Innigkeit, wird der Partner äußerst behutsam umfasst und jeder Bewegung nachgespürt, jedoch: „Was im Tango wunderbar funktioniert, kann im Alltag ganz furchtbar schiefgehen“, sagt einer, der womöglich bereits eigene Erfahrungen gemacht hat. „Vielleicht hält Tango auch einsam.“ Zumindest insofern, als irgendwann die Entscheidung fallen muss, ob weiterhin jeder freie Abend auf der Tanzfläche verbracht werden soll oder irgendwann dann doch die Zeichen auf häusliche Zweisamkeit stehen.

„Tango zu Besuch“ D 2017, 55 Minuten, ohne Altersbeschränkung, Regie: Irene Schüller, läuft im Abaton