Rettung verspricht in dem großartigen Drama „Der seidene Faden“ eine selbstbewusste Frau

Im Englischen beschreibt der Begriff „Phantom Thread“ einen Faden beim Nähen, der eigentlich gar nicht da ist: Wie beim Phantomschmerz haben wohl früher die Hände viktorianischer Näherinnen nach der Arbeit einfach weiter ihre stumpfen Arbeitsbewegungen ausgeführt; seitdem gibt es die Bezeichnung. Nun ist das auch der englische Originaltitel von dem Werk „Der seidene Faden“ – ein Mode-Drama im Großbritannien der 1950er-Jahre, das nicht nur exzellent besetzt ist, sondern die Zuschauer auch mit einer unterkühlten hitchcockartigen Liebesgeschichte in Atem hält. Regisseur Paul Thomas Anderson geht darin meisterhaft der Frage nach, welche Fäden eigentlich eine Beziehung im Zentrum zusammenhalten.

Erzählt wird die Geschichte des (erfundenen) Modedesigners Reynolds Woodcock, der mit viel Auge fürs Detail hochwertige Stücke für die Hochzeiten von Königshäusern entwirft und auch schon einmal genervt ist, wenn eine Trägerin seiner Kreation sich in der Robe allzu sehr dem Alkohol hingibt. Ebenso besessen ist er von den Alltagsdetails seines Lebens: Frauen, die nicht bis zum Letzten seinen Vorstellungen einer unsichtbaren Begleiterin entsprechen, lässt er rigoros von seiner Schwester das Ende der Beziehung ausrichten. Schließlich lernt Woodcock aber bei einer Landpartie die Bedienung Alma kennen, die zunächst nur wie die neue Muse seiner langen Parade wirkt, aber ihm schließlich nach und nach klarmacht, warum er nicht ohne sie auskommen wird.

Es geht wie so oft bei Anderson um die Krise des männlichen Genies – ein Thema, dem er sich vor fast 20 Jahren schon mit Tom Cruises Figur des Meisterverkäufers Frank T. J. Mackey in „Magnolia“ gewidmet hat und das sich bis in seinen vorletzten Film „The Master“ mit Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman durchzieht. Im mit Preisen überhäuften Öl-Drama „There Will Be Blood“ arbeitete Anderson schon einmal mit dem Darsteller von Reynolds Woodcock zusammen: mit Daniel Day-Lewis.

Dass der 60-Jährige dreifache Oscar-Preisträger den Modedesigner gewohnt exzellent spielt, bedarf kaum einer gesonderten Erwähnung. Auch hier hat er sich der Rolle wieder zu 100 Prozent verschrieben, Teile des Dialogs erarbeitet und sogar Schneidern gelernt sowie einige Stücke der Garderobe seines Charakters entworfen. Anders als Ölbaron Daniel Plainview lebt Woodcock aber seine Wut und seinen Perfektionismus ruhig und grüblerisch aus.

Mit der Luxemburgerin Vicky Krieps, auf die Anderson nach ihrer Hauptrolle in „Das Zimmermädchen Lynn“ aufmerksam wurde, hat er ein würdiges Gegenüber gefunden, auch sie legt in einen Blick mehr Tiefe als andere in zwei Drehbuchseiten Dialog. Gekrönt wird das Ensemble von Lesley Manville als Woodcocks Schwester Cyril, der Figur mit dem dunkelsten Humor des Films.

Wunderbar gelungen sind zudem die Kostüme von Mark Bridges und der Soundtrack, geschrieben von Jonny Greenwood, Gitarrist der Band Radiohead. Kleider und Musik übernehmen mit ihrem treibenden, dunklem Understatement beinahe zusätzliche Hauptrollen.

Mit überraschend starken sechs Oscar-Nominierungen zählt „Der seidene Faden“ zu Recht zur Spitzengruppe eines Film-Jahrgangs.

„Der seidene Faden“ USA 2017, 131 Min., ab 6 J., R: Paul Thomas Anderson, D: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, täglich im Abaton (OmU), Koralle, Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg