Die Teilnehmer sind zum Mitmachen und Mitdiskutieren aufgefordert. Die politische Zukunft geht alle etwas an

Prof. Dr. Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung, und Sascha Suhrke, Programmleiter Politik und Gesellschaft, sprechen im Interview über die Ziele des EuropaCamps auf Kampnagel – und warum sie sich viele aktive Teilnehmer wünschen.

Hamburger Abendblatt: Das Motto des EuropaCamps lautet „Rethink. Reload? Re­claim!“ Das klingt jung und zeitgeistig. Was steckt dahinter?

Michael Göring: Die Leitfrage der Veranstaltung ist: Welches Europa wollen wir? Die Teilnehmer sollen sich beim EuropaCamp intensiv damit auseinandersetzen – auf den Podien, bei den Workshops, aber auch im Publikum. Das Motto drückt das mit diesen drei Schritten aus: Denk noch mal nach! Kann es gelingen, das Thema neu aufzuladen? Mache es zu deiner Sache! Die Botschaft lautet: Es ist unser Europa – und zwar nicht nur das der heute 60-Jährigen, sondern auch das der Teenager. Informiert euch, denkt mit, redet mit, gestaltet mit.

Was erwartet die Besucher und Teilnehmer
auf Kampnagel?

Sascha Suhrke: Das EuropaCamp verbindet zwei Tage lang politische Debatten und kulturelle Events. Damit wollen wir
sowohl das klassische Publikum von Diskussionsrunden als auch ganz bewusst jüngere Zielgruppen ansprechen – idealerweise alle Hamburgerinnen und Hamburger, die sich interessieren. Das Ganze soll eine bunte, lebendige Veranstaltung werden – so wenig frontal wie möglich. Dazu dienen auch die zahlreichen Mitmach-Formate, bei denen sich die Teilnehmer einbringen können.

Die ZEIT-Stiftung fördert Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie Bildung und Erziehung. Die Hamburger kennen die Bucerius Law School und das Kunstforum. Wie passt da das EuropaCamp hinein?

Göring: Die Veranstaltung fällt in unser Ressort Bildung. Wir haben in der Stiftung schon vor 18 Jahren begonnen, das Arbeitsfeld „Global Governance“ aufzubauen und das später auf „Politik und Gesellschaft“ ausgeweitet. Hier haben wir bereits zahlreiche verschiedene Formate angeboten – international, aber auch regional.

So führen wir jährlich die „Bucerius Summer School on Global Governance“ durch, die sich an Nachwuchskräfte aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft richtet. Es geht dabei um Themen wie lebendige, aktive Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Vermeidung von Korruption.

Suhrke: Auch für die Ausrichtung Europas spielen ganz grundsätzliche staatspolitische Fragen eine Rolle, etwa die Spannungsfelder zwischen Sicherheit und Freiheit oder zwischen Konkurrenz und Kooperation, aber auch historische und kulturelle Aspekte. Mit dem EuropaCamp wollen wir das Thema bewusst für ein breiteres Publikum öffnen – dafür steht auch der Veranstaltungsort Kampnagel, wo die Schwelle naturgemäß niedriger ist als bei einer Universität. Außerdem hat das eine ganz andere Größenordnung: Wir können hier vier Veranstaltungsräume und dazu das Foyer bespielen.

Erreicht man mit solchen Themen denn tatsächlich auch die Jugend?

Göring: Ja, wenn das Format stimmt. Die repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa für uns durchgeführt hat, zeigt: Mehr als drei Viertel der 14- bis 39-jährigen Hamburgerinnen und Hamburger sind „sehr stark“ oder „stark“ am politischen Geschehen in Europa interessiert. Auch junge Menschen wollen sich gut informieren. Insofern haben wir uns im Vorfeld schon überlegt, wie man komplexe Informationen so anbieten kann, dass sie ein breites Publikum erreichen. Dem trägt der Eventcharakter des EuropaCamps Rechnung. Dabei geht es nicht nur ums Zuhören und Zuschauen, sondern auch ums Diskutieren und Mitmachen – und um den kommunikativen Austausch zwischen den Veranstaltungen.

Suhrke: Entsprechend vielfältig ist das Programm: Da ist der Träger des Deutschen Buchpreises, Robert Menasse, ebenso dabei wie der Blogger und Musiker Johnny Haeusler, Politiker wie Außenminister Sigmar Gabriel und Christina Weiss ebenso wie Moderator Jan Böhmermann. Dazu kommen Vorträge von und Diskussionen mit renommierten Wissenschaftlern.

Was sind Ihre persönlichen Highlights?

Göring: Ich freue mich besonders, dass es uns gelungen ist, Charles Kupchan, den ehemaligen europapolitischen Berater von US-Präsident Barack Obama, für einen Vortrag zu gewinnen. Ich glaube, dass uns der Blick eines renommierten Experten von außen guttut. Die Präsidentschaft Trumps eröffnet ja durchaus die Chance, die Identifikation der Europäer mit ihrem Kontinent zu stärken.

Suhrke: Ich verspreche mir viel vom Workshop und der Diskussion über Europas Populisten und bin auch gespannt auf das sachkundig besetzte Panel, das sich mit der Frage „Gibt es eine europäische Kultur?“ beschäftigt. Besonders ans Herz legen möchte ich den Teilnehmern den preisgekrönten Dokumentarfilm „Als Paul über das Meer kam“, in dem es um einen Flüchtling aus Kamerun geht.

Warum ist Hamburg der richtige Ort für so eine Veranstaltung?

Göring: Als Stiftung, die sich auf den „Zeit“-Verleger Gerd Bucerius gründet, sind wir ein Hamburger Gewächs. Dazu kommt, dass Hamburg nicht nur Tor zur Welt, sondern auch eine zutiefst europä­ische Metropole ist, mit einem gut informierten, interessierten Publikum und einem liberalen Geist. Kampnagel bietet die ideale Plattform für eine intensive Begegnung auch in größerem Umfang. Im Übrigen: Es muss nicht immer alles in der Hauptstadt Berlin stattfinden.

Stimmt der Eindruck, dass auf den Podien Pro-Europäer überwiegen?

Suhrke: Ja, aber das Spektrum ist dennoch breit. So diskutiert am Freitagabend unter anderem die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, eine Befürworterin der europäischen Integration, mit ihrem Kollegen Herfried Münkler, der eher eine Überdehnung Europas beobachtet. Da sind Kontroversen programmiert – zumal Ex-Finanzminister Peer Steinbrück mit auf der Bühne sitzt. Wir wünschen uns außerdem aber ausdrücklich, dass auch die Teilnehmer ihre abweichenden Meinungen einbringen, damit eine ernsthafte und kontroverse Debatte zustande kommt. Keiner soll sich ausgeschlossen fühlen.

Wann ist die Veranstaltung für Sie ein Erfolg?

Suhrke: Wir hoffen, dass wir mehr als 1000 Leute zum Kommen bewegen können, die keine Scheu haben zu diskutieren, die neugierig sind – und auch bereit, ihre Meinung auf Basis neuer Erkenntnisse zu hinterfragen.

Göring: Am Ende sollen die Leute sagen: Wir haben etwas gelernt. Europa ist nicht nur ein Kontinent in der Krise, sondern auch ein Kontinent der Möglichkeiten, die wir gemeinsam gestalten können. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen merken: Diese vibrierende Gesellschaft, das ist der Kontinent, auf dem ich leben möchte. Europa lohnt sich!