Zwei Tage, zahlreiche Vorträge und Workshops, dazu etliche Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien: Welche Programmhöhepunkte Besucher am 2. und 3. Februar beim EuropaCamp auf Kampnagel erwarten

Brexit, Flüchtlingskrise, Unabhängigkeitsbestrebungen, deutlicher Rechtsruck: Dies sind nur einige der Herausforderungen, die Europa und seine Bürger derzeit in Atem halten. Selten herrschte so große Uneinigkeit über den gemeinsamen Weg. Zwischen Ost und West, wenn es um Migration geht. Zwischen Nord und Süd bei der Reform der Euro-Zone.

Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem sich zahlreiche Länder aus Mittel- und Osteuropa der EU angeschlossen haben, gehen einige von ihnen wieder auf Abstand und setzen auf nationale Alleingänge. In die entgegengesetzte Richtung zielt Emmanuel Macron. Der französische Präsident fordert eine „Neugründung“ Europas und plädiert in seiner Reformagenda für eine stärkere Integration. Doch was wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger? Wie sehen sie die Zukunft der Europä­ischen Union?


Prominente Besetzung

Dieser Frage widmet sich am 2. und 3. Februar das von der ZEIT-Stiftung veranstaltete EuropaCamp in der Kulturfabrik Kamp­nagel. Für zwei Tage wird Hamburg zum Zentrum des europäischen Diskurses. Das Programm ist vielschichtig, die Gäste sind hochkarätig. So werden Prominente aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien in Workshops, Podiumsdiskussionen, Theaterstücken, Performances und Vorträgen zu aktuellen Europa-Themen Position beziehen. Den Startschuss gibt der geschäftsführende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD), der sich im Gespräch mit dem Journalisten Ali Aslan auch Fragen aus dem Publikum stellt.

Unter dem Motto „Rethink. Reload? Reclaim!“ sind die Camp-Teilnehmer dazu aufgefordert, mitzudenken, mitzureden und vor allem mitzugestalten. „Wir möchten, dass man sich auf dieser Konferenz darüber unterhält, welches Europa wir eigentlich wollen“, sagt Prof. Dr. Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung.

Workshops, bei denen man in die Rolle eines EU-Politikers schlüpft, ein Dokumentarfilm, in dem es um einen jungen Flüchtling geht, eine Podiumsdiskussion über die Zukunft Europas: Das EuropaCamp bereitet anspruchsvolle Inhalte in den unterschiedlichsten Formen auf. „Wir wollen das Programm so wenig frontal wie möglich gestalten. Es soll vielmehr einladen, sich zu beteiligen und gern auch dazu, kontrovers zu diskutieren“, sagt Sascha Suhrke, Programmleiter Politik und Gesellschaft bei der ZEIT-Stiftung. Die offene Atmosphäre auf Kampnagel unterstreiche den Festivalcharakter (s. Interview rechts).


Thematischer Brückenschlag

Dabei herausgekommen ist ein kluges Programm von internationalem Format. So finden zwei Drittel der Beiträge auf Deutsch statt, ein Drittel in englischer Sprache. Ob Politik, Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur: Thematisch ist die Veranstaltung so konzipiert, dass sie unterschiedliche Zielgruppen anspricht. „Es ist ein Europa-Festival für alle. Denn egal, welche Generation: Europa geht jeden etwas an“, sagt Michael Göring.

Gemeinsam mit Musiker und Blogger Johnny Haeusler wird etwa über die vermeintliche Politikverdrossenheit der Digital Natives diskutiert. Haeusler wurde bundesweit durch die Gründung der Messe „re:publica“ bekannt. Mit dem Verein TINCON will der 53-Jährige das digitale Interesse von Jugendlichen aktiv unterstützen und sie zur Mitgestaltung der digitalen Gesellschaft ermutigen.

Mitgestaltung und Eigeninitiative sind auch beim Planspiel „Mit Sicherheit frei – Europäische Politik zwischen Überwachung und Bürgerrechten“ gefragt. Hier nehmen die Teilnehmer die Rollen von EU-Politikern ein und müssen beispielsweise selbst entscheiden, ob sie zugunsten von mehr Sicherheit in der EU individuelle Freiheitsrechte der Bürger einschränken würden.


Migration und Populismus

>Flüchtlingsobergrenze, Familiennachzug, Zwangsabschiebung: Was bei der Regierungsbildung in Deutschland diskutiert wird, steht auch beim EuropaCamp auf der Agenda. Eine kontroverse Debatte in Sachen Migrationspolitik ist beim Aufeinandertreffen von Journalist Robin Alexander und der Künstlerischen Leiterin von Kamp­nagel, Amelie Deuflhard, garantiert. Mit von der Partie sind der Hauptdarsteller und der Regisseur des Films „Als Paul über das Meer kam“. Das mehrfach ausgezeichnete Werk von Jakob Preuss dokumentiert die Flucht des Kameruners Paul Nkami nach Europa und wird im Vorfeld der Podiumsdiskussion gezeigt.

Zu viele Flüchtlinge, zu wenig Bürgernähe: Der Aufstieg der Populisten zeigt, dass Europa an Akzeptanz verliert. Welche EU-Kritik ist berechtigt? Wie nimmt man die Vorwürfe der Populisten ernst, ohne ihnen damit recht zu geben? Das lernen die Teilnehmer in einem interaktiven Workshop. TV-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann und die Direktorin des European Council on Foreign Relations, Almut Möller, beziehen bei einer Podiumsdiskussion Stellung.

Und was ist, wenn die EU scheitert? Das diskutiert Grünen-Chef Cem Özdemir mit Hamburgs SPD-Außenpolitiker Niels Annen, der Präsidentin des German Marshall Fund, Karen Donfried, und dem Politikberater Ivan Krastev. In seinem Essay „Europadämmerung“ stellt sich Krastev auf ein Europa der Desintegration, des Chaos und des Elends ein. In seinen Augen ist „Überstehen alles“. Inwiefern die Krise der EU ein Dauerzustand ist, diskutiert wiederum Ex-Finanzminister und -Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) mit den Politikwissenschaftlern Ulrike Guérot und Herfried Münkler sowie Kiran Klaus Patel, Historiker an der Universität Maastricht.


Krise und Chance

Gibt es eine gemeinsame europäische Kultur? Dieser Frage gehen Esra Küçük vom Maxim Gorki Theater, EU-Parlamentarier Knut Fleckenstein und Hamburgs ehemalige Kultursenatorin Christina Weiss nach. Einblicke in Europas Machtzentrale Brüssel liefert der österreichische Schriftsteller Robert Menasse mit der Lesung aus seinem preisgekrönten Roman „Die Hauptstadt“. Im Anschluss spricht er darüber mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz.

Einer der Höhepunkte des kulturellen Abendprogramms dürfte die deutsche Erstaufführung „Suite No3 Europe“ von Joris Lacoste sein. Das Stück wird in allen 24 offiziellen Sprachen der EU zu Gehör gebracht – und spiegelt so die Vielfalt des Kontinents. Zudem begeben sich Mariola Brillowska und Günter Reznicek bei ihrer Bühnenperformance ins „Sanatorium Europa“. Das EuropaCamp richte sich „an alle, die Interesse am Thema Europa haben. Wir freuen uns auf viel Beteiligung“, lädt Stiftungsvorstand Göring ein.