Wir leben in Zeiten, in denen der Antisemitismus erneut sein hässliches Gesicht in der Welt zeigt. Er ist Thema in William Shakespeares politisch strittigster Komödie „Der Kaufmann von Venedig“, die längst zum guten Theaterkanon zählt. Vom 27. Januar an nimmt sich Karin Beier des Stoffes um zwei Freunde an. In dem Justizdrama leiht der Jude Shylock dem Christen Antonio Geld, mit dem dieser seinem Freund Bassanio die Brautschau der adeligen Landdame Portia ermöglichen will. Allerdings wird Shylocks Handel blutig, als Antonio nicht zahlen kann. Ein Drama, das im verschwenderisch auf Pump lebenden Venedig spielt, und eine romantische Komödie, die im fiktiven Belmont angesiedelt ist.

Für Dramaturg Christian Tschirner funktioniert das Stück auf mehreren Ebenen. „Es geht um Stigmatisierungen in der Gesellschaft. Darum, wie Zuschreibungen und Bilder entstehen. Welche angenommen und vielleicht sogar überhöht werden“, erzählt er. Das betrifft vor allem die Mehrheitsgesellschaft auf der einen und die Minderheitsgesellschaft auf der anderen Seite. Die Juden im Stück, von denen Shakespeare keinen einzigen persönlich kannte, da sie Einreiseverbot in England hatten, können auch gegen Muslime ausgetauscht werden. „Es gibt diese religiöse Dimension des Antisemitismus im Stück: Die christliche Religion, die sich selbst durch Gnade definiert (ohne sie zu leben), und die Beschreibung des Jüdischen als buchstabengläubige und gnadenlose Rechtsreligion.“ Antonio lehnt noch gemäß dem traditionellen katholischen Glauben die Zinsnahme ab, während Shylock als Kapitalist und Wucherer erscheint.

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    Die Verquickung von Recht, Geld und Gefühl ist das Thema

    Beier will dem Stück dicht folgen. „Wir versuchen einen Kommentar einzustreuen, aber relativ sparsam. Aspekte, die man vielleicht noch nicht so gesehen hat, stellen wir etwas stärker aus“, so Tschirner. Die Verquickung von Recht, Geld und Gefühl zieht sich durch das ganze Stück. Die Titelrolle spielt Carlo Ljubek, die eigentliche Hauptrolle hat Joachim Meyerhoff als Shylock. „Es werden auch zwei Wirtschaftsformen gegenübergestellt“, so Christian Tschirner. „Portia lebt auf dem Lande, verkörpert den alten Adel, weshalb alle sie heiraten wollen, um ihren Lebensstandard zu wahren. Hierfür muss der Anwärter zwischen drei Kästchen wählen. Auf der anderen Seite das kapitalistische Venedig, von Krise, Verschwendung, Schulden geprägt. Der eigentliche Außenseiter Shylock wird mächtig, weil er zahlungskräftig ist.“ Antonio ist ein Randständiger, weil er seine Homosexualität nicht ausleben kann.

    Shakespeare mischt in Shylock das Bild eines Puritaners mit antisemitischen Klischees eines störrischen, moralinen, altmodischen Mannes und macht sich darüber lustig. Wenn am Ende die komödiantisch geprägte Schlussharmonie eintritt – oder auch nicht –, bleibt für Tschirner die Frage, ob Bassanio mit Portia glücklich werden kann. Man kann das Stück nicht anschauen, ohne die deutsche Geschichte und Gegenwart mitzudenken, die eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber einem Wiederaufkommen des Antisemitismus verlangt.

    „Der Kaufmann von Venedig“ Premiere Sa 27.1., 19.30 Uhr, weitere Termine: 23.2., 20 Uhr, 25.2., 18.00, 28.2., 20 Uhr, 2.3., 20 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten zu 11 bis 49 Euro unter T. 24 87 13