Lünen.

8.15 Uhr am Morgen. Es klingelt an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Lünen. So wie jeden Tag. Aber gestern ist kein Tag wie jeder andere. Es ist der Tag nach dem schrecklichen Verbrechen, bei dem ein 15-Jähriger einen 14-jährigen Mitschüler auf dem Flur erstochen hat, weil er sich von ihm provoziert fühlte. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Nicht an der Schule, ja nicht einmal in der Stadt.

Schon um sieben Uhr hat das Kollegium sich im Lehrerzimmer getroffen und mit Notfallseelsorgern und Schulpsychologen über die Gestaltung des Unterrichts an diesem Tag gesprochen. Statt Mathe oder Deutsch stehen Aufarbeitung und Hilfestellung auf dem Stundenplan. Gemeinsam oder in Einzelgesprächen geht es um die „Auseinandersetzung mit der Tat“, wie Schulleiter Reinhold Bauhus sagt, der von „einem schrecklichen Einzelfall“ spricht.

Weit vor Unterrichtsbeginn erscheinen auch die ersten Jungen und Mädchen – mehr als üblich werden von ihren Eltern gebracht. Kerzen entzünden sie gemeinsam vor dem Schulzaun, Blumen stecken sie zwischen die Gitter, später auch einen BVB-Schal. Viele nehmen sich in die Arme, einige können die Tränen nicht zurückhalten. „Wir fassen es noch immer nicht“, sagt ein Mädchentrio. Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns (GFL) und Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), die beide am Morgen in die Schule kommen, geht es ähnlich. „Die ganze Stadt steht unter Schock“, sagt Kleine-Frauns. Gebauer dankt allen für ihr besonnenes Handeln. Und um 12 Uhr schweigt Lünen in Gedenken an das Opfer eine Minute lang, während die Glocken läuten.

In Dortmund beantragt die Staatsanwaltschaft derweil Haftbefehl wegen Mordes gegen den mutmaßlichen Täter. Die Untersuchungsrichterin habe die Vollstreckung in einer Haftanstalt angeordnet, bestätigen die Ermittler am frühen Nachmittag. Weitere Erkenntnisse zur Tat, zum Verdächtigen oder zu einer möglichen Vorgeschichte teilen sie nicht mit. Die Sozialarbeiterin der Schule hatte ihn am Dienstag „aggressiv und unbeschulbar“ genannt. Für die Behörden ist er polizeibekannt, wie es gestern hieß – aber „nur“ wegen Sachbeschädigung.

Unklar ist weiterhin, warum der Verdächtige ein Messer mit sich führte, als er mit seiner Mutter am Tatmorgen zu einem Gesprächstermin in der Schule erschien. Schüler der Gesamtschule deuteten am Dienstag an, es gebe „einige Jungs, die stets ein Messer bei sich haben“. Für Schulleiter Bauhus völlig unverständlich: „Wir sind doch eine friedliebende Schule.“

Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) forderte als Konsequenz mehr Unterstützung der Politik für Schulen. „Schon länger weisen wir darauf hin, dass Konflikte schneller und öfter eskalieren und mit derberen Mitteln ausgetragen werden“, sagte der Verbandsvorsitzende Udo Beckmann. Die Schulen würden mit vielen Herausforderungen einfach alleingelassen.

Der Tatverdächtige hat einen deutschen Pass und kasachische Wurzeln. Als Motiv gab er laut Polizei an, der 14-Jährige habe seine Mutter „mehrfach provozierend angeschaut“.

Das Jugendstrafrecht sieht eine Haftstrafe von maximal zehn Jahren vor.