Das Drama „Wunder“ tappt zwar teils in die Kitschfalle, überzeugt aber mit starker Botschaft

Ein Junge springt anfangs auf seinem Bett herum, vor einer Sternentapete und mit Astronautenhelm überm Kopf. Ein klassischer Jungentraum: einmal Raumfahrer sein. Für den zehnjährigen August (Jacob Tremblay) freilich ist das mehr als ein Traum. Er sehnt sich in eine andere Welt, in der er allein ist. In der niemand ihn anschaut. Und den Helm setzt er eigentlich immer auf, wenn er aus dem Haus geht. Denn er hat das Treacher-Collins-Syndrom, einen Gen-Defekt, der sein Gesicht entstellt hat. Bislang hat ihn seine Mutter (Julia Roberts) privat unterrichtet. Nun aber kommt er in die fünfte Klasse. Zeit, so finden die Eltern, dass er zur Schule geht. Zeit, den Helm abzusetzen.

August, von seiner Familie „Auggie“ genannt, wird von der Außenwelt immerzu angestarrt und teils hinter vorgehaltener Hand, teils offen als Freak bezeichnet. Der Gang zur Schule wird zum Spießrutenlauf. Auggie geht ihn eigentlich nur, weil er seine Eltern nicht enttäuschen will, die ja den Großteil ihres Lebens für ihn aufopfern. Er will es vielleicht auch, weil er ziemlich intelligent ist und mehr über Naturwissenschaften wissen will, als seine Mutter ihm beibringen kann. Aber er wird ausgegrenzt, auch gemobbt. So grausam, wie Kinder zuweilen eben sind.

Stephen Chbosky wurde erst als Drehbuchautor bekannt, dann als Romanautor und schließlich als Regisseur, als er sein eigenes Jugendbuch „Vielleicht lieber morgen“ verfilmte. Nun hat er mit gleichem Fingerspitzengefühl einen anderen Jugendbuch-Hit adaptiert: In „Wunder“ beschrieb Raul J. Palacio ungeschönt, wie es ist, anders zu sein. Und wie man dennoch dazu stehen und mit seiner Stärke sogar ein Vorbild werden kann.

Julia Roberts und Owen Wilson sind spannend gegen ihr Image besetzt

Chbosky übernimmt dabei das dramaturgische Mittel, die Geschichte zwar überwiegend aus Auggies Perspektive zu erzählen, aber auch andere Blickwinkel einzunehmen. Nicht die der Eltern (es ist ja ein Jugendbuch!), aber etwa den der Schwester, die darunter leidet, dass die Eltern nie an sie denken. Oder den des Mitschülers Jack, der erst überredet werden muss, Auggie beizustehen, woraus sich aber eine Freundschaft entwickelt.

Ein rührender Film über Eigen- und Fremdwahrnehmung, Selbstzweifel und Selbstbewusstsein. Die bewundernswert starken Eltern sind mit Julia Roberts und Owen Wilson hochkarätig und spannend gegen ihr Image besetzt. Doch allein der kleine Jacob Tremblay, bekannt geworden mit „Raum“, trägt den Film mühelos.

Es gibt Filme, da heult man und ärgert sich zugleich darüber, weil man merkt, wie die ganze Klaviatur auf die Tränendrüsen drückt. Und es gibt Filme, da heult man und lässt es einfach rinnen. „Wunder“ gehört zur zweiten Kategorie. Und was kann schlecht sein an einem Film, der anrührend für die Integration von Andersartigen wirbt? Das Thema Mobbing nimmt in Palacios Buch allerdings deutlich mehr Raum ein, im Film wird es auf ein Mindestmaß gestutzt. „Wunder“ wird so um seine Brisanz gebracht und ein bisschen zu sehr zum Wohlfühlfilm. Am Ende fällt er dann doch in die Kitschfalle, die er bis dahin so klug umgangen ist.

„Wunder“ USA 2017, 113 Min., o. A., R: Stephen Chbosky, D: Jacob Tremblay, Julia Roberts, Owen Wilson, Mandy Patinkin, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Hansa, Koralle, Studio (OmU), UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek; www.studiocanal.de/kino/wunder