Bonn. 56 Prozent der Delegierten stimmen auf Sonderparteitag mit Ja. Schulz kündigt harte Gespräche mit Union an

Nach einem Abstimmungskrimi beim Sonderparteitag in Bonn hat die SPD am Sonntag mit knapper Mehrheit den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit der Union frei gemacht. Nach einer emotionsgeladenen Debatte und einer Wahlwiederholung stimmten auf dem Parteitag in Bonn 56,4 Prozent von 642 Delegierten und Vorstandsmitgliedern dafür.

Die Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition können in den nächsten Tagen beginnen und im besten Fall schon im Februar abgeschlossen werden. Danach muss noch eine hohe Hürde überwunden werden: Die mehr als 440.000 SPD-Mitglieder stimmen über den Koalitionsvertrag ab und haben damit das letzte Wort.

Der Beschluss löste bei den Parteispitzen von SPD und Union zwar Erleichterung aus. Es gibt aber bereits reichlich Zündstoff für die Verhandlungen. Die SPD will weitere Forderungen in den Bereichen Arbeit, Gesundheit und Flüchtlinge durchsetzen. Die Union schließt ein deutliches Entgegenkommen aus. „Ich sehe da keine Möglichkeit“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, „sehr schnell“ in die Gespräche zu starten.

SPD-Chef Martin Schulz erwartet „harte“ Verhandlungen. Er hatte in einer kämpferischen Rede für eine Große Koalition geworben. Kurz vor der Abstimmung trat er nochmals ans Rednerpult und sprach von einem „Schlüsselmoment“ in der Geschichte der SPD. „Ich glaube, dass die Republik in diesem Moment auf uns schaut“, sagte er. „Ja, man muss nicht um jeden Preis regieren, das ist richtig. Aber man darf auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen.“ Sein schärfster Wider­sacher Kevin Kühnert hatte an die Genossen appelliert, trotz weitreichender Folgen nicht vor einem Nein zurückzuschrecken. Die GroKo-Gegner wollen sich nicht geschlagen geben. Sie kündigten an, ihre Nein-Kampagne bis zum Mitgliederentscheid fortzusetzen.

Schon in der mehr als vierstündigen Debatte sprach sich eine knappe Mehrheit der 50 Redner für eine Große Koalition aus. Die leidenschaftlichste Rede hielt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Bürger würden der SPD einen Vogel zeigen, wenn sie sich trotz guter Sondierungsergebnisse für eine Neuwahl entscheide, sagte sie. In den Koalitionsverhandlungen könne noch mehr für die SPD herausgeholt werden. „Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite.“ Schulz versprach, dass in den Verhandlungen weitere Forderungen der SPD durchgesetzt würden. Unter anderem in der Gesundheitspolitik seien Ergänzungen des Sondierungspapiers nötig.

Schon jetzt dauert die Regierungsbildung so lange wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit dem Votum verhinderten die Delegierten auch den Sturz der SPD in eine tiefe Krise. Für den Fall eines Neins war mit dem Rücktritt von Schulz gerechnet worden. Vor dem Parteitag war die Partei in Umfragen bis auf 18 Prozent abgesackt. Das Ergebnis ist aber knapper als von der Parteispitze erwartet. Dort hatte man auf 60 Prozent gehofft.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sprach trotzdem von einem „ordentlichen“ Ergebnis. „Dieser Parteitag ist ein Signal der Kraft.“ Auch der Hamburger CDU-Landeschef Roland Heintze zeigte sich erleichtert. „Die weiteren Gespräche werden jedoch nicht einfach werden“, sagte Heintze. (HA/dpa)

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