Washington.

In der privaten Sandburg-Schule in der Muir Woods Road in Perris zwei Autostunden südöstlich von Los Angeles fällt der Unterricht ab sofort aus. Für immer. Der behördlich lizenzierte Schuldirektor David Allen Turpin (56) und seine Gattin Louise Anna (49) müssen sich wegen des Vorwurfs der Folter und der Gefährdung des Kindeswohls verantworten. Sie wurden verhaftet. Die Kaution beträgt 18 Millionen Dollar, ihre Höhe korrespondiert mit der aufsehenerregenden Schwere der Vorwürfe, die gestern die Nachrichten über Kalifornien hinaus dominierten. Denn sechs Schüler sind die leiblichen Kinder der Turpins. Sie wurden von Vater und Mutter daheim unterrichtet.

Insgesamt hat die tief religiöse Großfamilie 13 Zöglinge im Alter von zwei bis 29 Jahren, Kinder und junge Erwachsene also. Allesamt wurden sie im elterlichen Haus in einer Vorortsiedlung offenbar über einen längeren Zeitraum wie Tiere im Dreck gehalten, kaum ernährt und teilweise mit Ketten und Vorhängeschlössern ans Bett gefesselt wie Gefangene behandelt.

Die Polizei von Riverside beendete das Martyrium am Sonntagmorgen. Die Eltern kamen in Haft, nachdem eine 17-jährige Tochter, die wegen ihres ausgemergelten Zustands auf die Beamten „wie zehn“ wirkte, via Handy den Notruf 911 betätigte und fliehen konnte. Unmittelbar nach ihrer Befreiung aus einer „dunklen, nach Fäulnis riechenden Umgebung“ gaben die geschockten Beamten den durchweg unterernährten und darum erheblich jünger aussehenden Opfern zu essen und zu trinken. Ihr Zustand, berichtete Mark Uffer, Chef des örtlichen Corona-Krankenhauses, sei den Umständen entsprechend „stabil“. Hinweise auf sexuellen Missbrauch der Kinder gebe es bisher nicht. Seither läuft die Suche nach dem Motiv. „Wer tut so was“, zitierte die Lokalzeitung „The Press-Enterprise“ einen Beamten anonym“, „und quält seine eigenen Kinder wie Sklaven?“ Polizei-Captain Gregory Fellows wollte bei einer ersten Pressekonferenz weder spekulieren noch Details nennen. Nur so viel: Louise Turpin, die Mutter, reagierte völlig „perplex“, als die Polizei vor der Tür stand. „So als wollte sie sagen: Was wollt ihr hier?“

James und Betty Turpin, die in West Virginia lebenden Eltern des wie seine Frau in Handschellen abgeführten Vaters, sagten dem TV-Sender ABC, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung gehabt hätten. Ihr Sohn sei der Vorstand einer „guten, christlichen Familie“, die allein auf „Gottes Wunsch“ so kinderreich geworden sei. Die Kinder seien „streng und ausschließlich“ zu Hause beschult worden. Im Mittelpunkt: die Bibel. Einige Kinder hätten sogar versucht, das Buch der Bücher auswendig zu lernen. Hinweise auf die Qualen, Demütigungen und Entsagungen, die die Turpin-Kinder nach ersten vorläufigen Eindrücken der Polizei erdulden mussten und die laut Bürgermeister Michael Vargas „unvorstellbar“ sind, „hatten wir nie“. Nach außen vermittelte sich der Eindruck einer heilen Familienwelt.

In sozialen Netzwerken sind Fotos aus Las Vegas zu sehen, wo die Turpins 2015 im Beisein eines Elvis-Imitators nach 30 Jahren ihr Eheversprechen erneuert haben; umringt von ihren uniformiert gekleideten Kindern: die Mädchen mit ihren braunen Haaren im pinkfarbenen Kleid mit Schottenmuster, die Jungs, die wie der Vater eine altmodische Topffrisur tragen, in schwarzen Anzügen und mit roten Krawatten. Ein anderes Bild zeigt den lächelnden Turpin-Clan beim Ausflug in den Freizeitpark Disneyland. Es könnten rare Begegnungen mit der Außenwelt gewesen sein. „Die hat man hier so gut wie nie gesehen“, sagte eine Nachbarin, als die ersten Übertragungswagen der Fernsehsender in der ruhigen Sackgasse einparkten, in der die aus Texas stammenden Turpins seit 2010 in einem typischen Mittelschichtmilieu wohnten. Kimberly Milligan, die direkt gegenüber lebt, macht sich heute Vorwürfe, nicht früher die übliche Anonymität durchbrochen und Jugendschutzbehörden oder die Polizei informiert zu haben: „Es ist doch unmöglich, dass man von 13 Kindern so gut wie nie etwas sah oder hörte.“ Eine andere Anwohnerin berichtete dagegen einem Lokalfernsehkanal, dass einige Turpin-Kinder nachts beim Durchstöbern von Mülltonnen auf der Suche nach Essen gesehen worden seien. War es Geldnot? Vor dem rötlich-braunen Haus im Flachbau-Bungalowstil standen zum Zeitpunkt der Festnahme drei Autos. David Turpin verdiente in der Waffenschmiede Northrop Grumman als Computeringenieur 140.000 Dollar im Jahr. Das war vor acht Jahren. Später erklärte das Paar den Privatbankrott. Dimension: bis zu 500.000 Dollar. Ivan Trahan, der zuständige Insolvenzanwalt, sagte der „Los Angeles Times“, dass die Turpins „stets in höchsten Tönen von ihren Kindern gesprochen haben“. Was hat sie zu Peinigern ihres Nachwuchses gemacht?