Berlin.

Es war ein Horrorunfall, der sich kurz vor Weihnachten auf der A3 in der Nähe von Koblenz ereignete. Dabei sah es zunächst so aus, als hätten die Insassen einen Schutzengel gehabt – ein Irrtum: Drei Männer sitzen im Auto, als es wegen eines geplatzten Reifens von der Straße abkommt und mit der Leitplanke kollidiert. Fahrer und Beifahrer, beide 42, steigen unverletzt aus und warten auf dem Standstreifen auf Hilfe, der dritte Mitfahrer (49) bleibt im Wagen sitzen. Das Trio ahnt nicht, dass ihm die wahre Katastrophe noch bevorsteht: Plötzlich rast ein Sattelzug heran, wahrscheinlich fährt er zu weit rechts. Der Fahrer des Sattelzugs übersieht die beiden Wartenden und erfasst einen von ihnen – der Mann stirbt. Als ob das nicht tragisch genug wäre, setzt sich das Drama fort: Ein anderer Lkw kracht von hinten in das Unfallauto und tötet auch den 49-Jährigen, der darin gewartet hatte.

Das Desaster war eines der schrecklichsten der letzten Wochen, es steht exemplarisch für eine unterschätzte Gefahr. Beinahe wöchentlich werden auf deutschen Autobahnen Menschen verletzt oder getötet, die wegen einer Panne auf dem Standstreifen ausharren. Wie kann das sein?

Thomas Reynartz kennt das Schnellstraßennetz zwischen Nord-, Ost- und Bodensee so gut wie wenige andere – der 49-Jährige leitet die Straßenwacht beim ADAC, der Münchener ist also der oberste Pannenhelfer des Autoclubs. Er sagt: „Vielen Fahrern ist die Gefahr nicht bewusst, in der sie sich auf dem Seitenstreifen befinden. Die wenigsten Menschen haben so eine Situation schon einmal erlebt – wenn sie dann plötzlich liegenbleiben, geraten sie in Stress.“

Erst vor wenigen Monaten musste Reynartz den Tod eines Kollegen hinnehmen: Ein 66-jähriger ADAC-Pannenhelfer war am frühen Morgen dabei, einem Lkw-Fahrer mit defektem Reifen auf der A7 in Württemberg zu helfen, als ein vorbeifahrender Lastwagen ihn erfasste. Der Standstreifen als Todesfalle. „Der Großteil unserer Mitarbeiter hat bei Einsätzen auf der Autobahn ein mulmiges Gefühl. Die Priorität lautet, den Unfallwagen möglichst schnell auf den nächsten Parkplatz zu schleppen und sich so in Sicherheit zu bringen“, sagt Reynartz.

Schlimme Unfälle am Rand der Autobahn sind kein neues Phänomen, aber eines, das seit Jahren in Expertenrunden diskutiert wird. Die Gewerkschaft der Straßenwärter (VDStra) beklagte schon vor zehn Jahren: „Es vergeht kein Tag ohne schweren Unfall. Pro Jahr sterben in Deutschland acht bis zehn Kollegen.“ Allein in Nordrhein-Westfalen wurden zwischen Januar und November 2017 sechs Beschäftigte während ihres Dienstes – etwa auf Wanderbaustellen – von vorbeifahrenden Autos gerammt. Der zuständigen Behörde bleibt nichts anderes übrig, als an Autofahrer zu appellieren, nicht aufs Handy zu schauen und sich ans Tempolimit zu halten.

Thomas Reynartz vom ADAC nutzt jede Gelegenheit, Autofahrern Verhaltensregeln für den Notfall mit auf den Weg zu geben. „Ich rate, möglichst weit rechts ranzufahren, um Abstand zur Fahrbahn zu bekommen. Dann sollten alle Insassen auf der Beifahrerseite aussteigen.“ Ansonsten gilt: Warnblinker setzen, Dreieck in wenigstens 100 Metern Entfernung aufstellen, orange Weste überziehen und hinter der Leitplanke auf Hilfe warten.

Es mangelt am Gefahrenbewusstsein

Tipps, die eigentlich jeder Fahrschüler auswendig kennen muss. Welche Folgen Leichtsinn haben kann, erlebte im vergangenen Frühsommer ein 46-Jähriger aus Halle. Der Mann wechselte nach einer Panne auf der A38 in Sachsen-Anhalt auf dem Standstreifen sein linkes Vorderrad, während nur wenige Zentimeter neben ihm der Verkehr vorbeirauschte. Es kam, wie es kommen musste: Er wurde angefahren, durch die Luft geschleudert und erlitt schwere Verletzungen.

Als die Polizei den Unfall später rekonstruierte, staunten die Beamten über das mangelnde Gefahrenbewusstsein des Opfers. „Niemals“, gab hinterher ein Sprecher der zuständigen Autobahnpolizei kopfschüttelnd zu Protokoll, „würde ich mein Leben für einen Reifen riskieren.“