Hamburg/Berlin. SPD setzt sich bei Rente und Pflege durch, Union verhindert höhere Steuern und Bürgerversicherung: Olaf Scholz spricht von „gutem Ergebnis für alle“. Kritik von den Grünen

Es passiert nur selten, dass Hamburgs Bürgermeister und seine Stellvertreterin nicht einer Meinung sind. So weit wie nach den geglückten Sondierungsgesprächen von SPD und CDU/CSU in Berlin dürften die beiden aber noch nie auseinander gewesen sein.

Während Olaf Scholz nach einer schlaflosen Nacht in Berlin als SPD-Bundesvize von einem „guten Ergebnis sprach, von dem alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land profitieren werden“, war Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) von dem, was Scholz in der Hauptstadt mitverhandelt hatte, schwer enttäuscht: „Die Einigung von Union und SPD ist der 28 Seiten lange Versuch, sich die gute alte Zeit zurückzukaufen.“ Kurz nacheinander gaben am Freitag Hamburgs wichtigste Politiker ihre Einschätzungen zu der nahenden Großen Koalition auf Bundesebene ab. Scholz ließ seine Worte über Senatssprecher Jörg Schmoll verbreiten, Fegebank beauftragte dessen Stellvertreter Sebastian Schaffer. Und so kamen aus ein und derselben Abteilung im Rathaus zwei äußerst unterschied­liche Urteile, die Ergebnisse und Kritik an den Sondierungsgesprächen gut zusammenfassen.

Bei Scholz klingt das so: „Ein Kurswechsel in der Europapolitik steht bevor. Es wird deutlich in die Digitalisierung und Forschung und Entwicklung investiert. U- und S-Bahnen werden endlich stärker finanziell gefördert. Ganztagsschulen und gebührenfreie Kitas können jetzt überall in Deutschland eingeführt werden. Der Soli fällt für alle mittleren und niedrigen Einkommen weg, davon profitieren 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.“

Anders als bisher würden zudem Arbeitgeber nicht mehr einen geringeren Krankenkassenbeitrag zahlen als die Arbeitnehmer. Und: „Wir stabilisieren das Rentenniveau und schaffen eine neue Grundrente. Für die Eingliederung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt steht künftig erheblich mehr Geld zur Verfügung. Wir etablieren einen sozialen Arbeitsmarkt. Der soziale Wohnungsbau wird dauerhaft auf hohem Niveau gefördert; Mieter profitieren von der Senkung der Modernisierungsumlage.“ Außerdem erhalte Deutschland ein modernes Einwanderungsrecht. Soll heißen: Das ist eine Große Koalition, von der vor allem die „kleinen Leute“ etwas haben.

Die Grüne Katharina Fegebank sieht das anders: „Wenn ich mir dieses triste Ergebnis ansehe, bin ich froh, dass wir in Hamburg mit klarer rot-grüner Richtung regieren können“, sagt sie. Das Abschlusspapier der Berliner Sondierer atme die verklemmte Furcht vor den Realitäten eines modernen Einwanderungslandes. „Es spart penibel jedes Spurenelement ökologischer Modernisierung aus. Ein Thema wie E-Mobilität ist Schwarz-Rot gerade mal einen Halbsatz wert. Den Kohleausstieg schafft man sich vom Hals, indem man ihn erst mal in eine Kommission abschiebt. Und vom selbst gesteckten Klimaziel 2020 bleibt nur noch pein­liches Gedruckse übrig.“

Früher hätten sich Große Koalitionen wenigstens noch Ziele beim Klimaschutz gesetzt, jetzt gebe es nicht einmal mehr die. „Immerhin hat Schwarz-Rot bei Kinderarmut und Pflege von Jamaika manches Gute abgeschrieben“, so Fegebank. Trotzdem bleibt: „Die einzige programmatische Klammer von Union und SPD ist das Angstklammern vor der Zukunft.“

Und so geht es jetzt weiter: Am Montag wirbt SPD-Chef Martin Schulz bei den Genossen in Nordrhein-Westfalen für die Große Koalition. Der Landesverband spielt beim Bundesparteitag eine große Rolle. Am Sonntag in einer Woche entscheidet der SPD-Sonderparteitag in Bonn über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union. Schon einen Tag später könnten die Verhandlungen beginnen und bis Ende Februar der Koalitionsvertrag stehen. Dann müssten noch die SPD-Mitglieder abstimmen. Bei der CDU dürfte ein Parteitag letztes Entscheidungsgremium sein. Auch in der CSU ist ein Parteitag möglich. (HA)