Düsseldorf.

Cornelia Färber

Im Internet wirbt das Seniorenheim im Herzen Düsseldorfs mit „kompetenter Pflege“. Viele von ihnen bleiben bis zu ihrem Tod. Der 104 Jahre alte Hans-Günther H. jedoch ist trotz seines hohen Alters keines natürlichen Todes gestorben, sondern durch eine versehentlich verabreichte Überdosis eines Schmerzmittels. Etwas über drei Jahre ist das nun her. Seit gestern stehen zwei Altenpflegerinnen (51 und 35) in Düsseldorf vor Gericht. Sie sind des versuchten Totschlags durch Unterlassen angeklagt, weil sie es vermieden haben, Hilfe zu holen, als sie ihren Fehler bemerkten.

Der erste Prozesstag dauert nicht mal eine Stunde und endet nach Verlesung der Anklage. Den Angeklagten ist die Erleichterung darüber anzusehen, beide sind auf freiem Fuß und zuvor in den Verhandlungssaal hineingehuscht, Hand und Aktendeckel schützend vor das Gesicht gehalten. Dem Geschehen können sie sich nicht entziehen, der Fall ist dramatisch, die Rechtslage einigermaßen verzwickt. Zunächst hatte die Anklage der Staatsanwaltschaft auf „Mord durch Unterlassen“ gelautet, weil sie in der Vertuschungsabsicht ein Mordmerkmal sah.

Doch davon sah die Kammer unter Vorsitz von Richter Rainer Drees bereits vor Prozessbeginn ab und ließ lediglich eine Anklage auf Totschlag zu. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Frauen deshalb keine Hilfe gerufen haben, weil sie das Leiden des 104 Jahre alten und erheblich kranken Mannes nicht haben verlängern wollen.

Damit nicht genug – der Vorwurf des Totschlags wurde zusätzlich in versuchten Totschlag abgemildert, denn ein Gutachter bezweifelte, ob der alte Mann noch hätte gerettet werden können.

Was war geschehen? Es ist der Tag vor Heiligabend 2014, als die 51 Jahre alte Pflegerin ihre junge Kollegin um Hilfe bittet. Hans-Günther H., der hochbetagte Bewohner, benötigt starke Schmerzmittel. Die ältere Pflegerin soll die Spritze mit Hydromorphon aufgezogen haben, allerdings mit der hundertfachen Dosis der ursprünglichen ärztlichen Verordnung. Die Jüngere spritzt sie ohne weitere Kontrolle dem alten Mann unter die Haut. Daraufhin verlässt die 35-jährige Pflegerin das Zimmer, die Ältere bemerkt jedoch schnell, dass die Atmung des alten Mannes aussetzt und holt die Kollegin zurück.

Da bemerken beide den Fehler. Hans-Günther H. geht es mittlerweile immer schlechter, aber es ist noch leises Atmen zu spüren. Die ältere Pflegerin greift nach dem Telefon und wählt die Notrufnummer, da sagt die jüngere den entscheidenden Satz: „Nein, das machen wir nicht!“. Wenig später ist Hans-Günther H. tot.

Ob und wie sich die beiden Angeklagten zu den Vorwürfen äußern, stand am ersten Prozesstag noch nicht fest. Die 51-Jährige jedenfalls hatte seinerzeit das Geschehen am 10. Januar 2015 bei der Polizei angezeigt, die Jüngere soll bisher geschwiegen haben.