Grainau.

Mehr als eine Stunde dauert die Anreise mit der Zahnradbahn hinauf auf das Bergplateau. Oben, in 2600 Metern Höhe, empfängt der Baumeister die Besucher. Jan Wernet, ein 36 Jahre alter Naturbursche von der Schwäbischen Alb, sitzt auf einem Schneemobil, sein Gesicht ist zwischen Wollmütze, Sonnenbrille und schwarzem Vollbart kaum zu erkennen. Nach kurzer Fahrt durch dichtes Schneegestöber stoppt er hinter einer einsamen Kapelle und deutet auf einen mehrere Meter hohen weißen Hügel. Das also ist Deutschlands höchstgelegenes und zugleich kältestes Hotel – erbaut in den letzten Wochen aus Schnee und Eis. „Wer hier übernachtet, sehnt sich nach Abenteuer, nach dem echten Wintergefühl“, sagt Wernet und steigt vom Motorschlitten.

Es ist ein ganzes Igludörfchen, das er zusammen mit einem halben Dutzend anderen seit Ende November geformt hat – ein Labyrinth aus Gängen und Räumen, das 50 Menschen Platz bietet. Am morgigen Sonnabend sollen die letzten Arbeiten abgeschlossen sein. Die von außen unscheinbare Anlage auf dem Zugspitzplatt ist nichts für Warmduscher. Fließendes Wasser gibt es nicht, in den Schlafräumen herrschen knapp unter null Grad. Die Betten sind aus Eis geformt – damit die Besucher nachts nicht erfrieren, bekommen sie haufenweise Schaffelle, Isomatten und einen speziellen Expeditionsschlafsack. „Man muss immer in Bewegung bleiben, sonst durchdringt die Kälte den gesamten Körper“, warnt Wernet, während sein Atem zu einer Nebelwolke kondensiert.

Der Betrieb eines temporären Hotels an einem unwirtlichen Ort ist eine logistische Herausforderung. Jede Kaffeetasse, jede Weinflasche muss mit der Zahnradbahn auf den Berg geschafft werden. Billig ist die Naturerfahrung nicht. 119 Euro kostet die Nacht im Schlafsaal, bis zu 289 Euro eine Zweierkammer. Trotzdem boomen Übernachtungen im Eis – nicht nur auf der Zugspitze: Seit 1990 die erste Anlage dieser Art im schwedischen Jukkasjärvi eröffnete, kommen Herbergen in extrem abgelegenen Winterlandschaften immer mehr in Mode. In Finnland steht seit gut 20 Jahren die Burg von Kemi, die größte aus Schnee und Eis gebaute Festung der Welt. In der Schweiz gibt es sogar eine ganze Igludorf-Kette mit sechs Standorten – etwa in Zermatt mit Blick aufs Matterhorn. Und in der Wildnis Lapplands, rund 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, locken gläserne Iglus Besucher mit einer spektakulären Sicht auf die Polarlichter. „Ich spüre bei unseren Besuchern ein starkes Bedürfnis nach einem echten Naturerlebnis“, sagt Jan Wernet auf dem Zugspitzplatt.

Dieses Bedürfnis teilen die Besucher mit den Menschen, die dort arbeiten. „Wenn die Sonne über den Gipfeln aufgeht, ist das der schönste Arbeitsplatz der Welt“, schwärmt Ingrid Steck, eine fröhliche Bayerin aus Garmisch-Partenkirchen, die nach dem Frühstück erst mal eine Runde Skifahren geht. Im Sommer bringt die 31-Jährige Migranten Deutsch bei, den Winter verbringt sie zwischen der Bar im Aufenthaltsraum des Eishotels und der Schlafkammer für das Personal.

In einem Jahrbeginnt alles von vorn

Jan Wernet schaut auf die Uhr. Er kann lange davon erzählen, wie sie große Ballone aufgeblasen, Schnee darüber geschaufelt und die Luft wieder herausgelassen haben – so entstehen die Igluräume. Oder von seinem Traum, Luxuszimmer mit Whirlpool zu bauen. Jetzt aber wird er langsam ungeduldig – die Führung dauert ihm zu lange. Er muss noch viel vorbereiten.

Knapp 3000 Gäste werden in den knapp 100 Betriebstagen bis zum Frühjahr im Iglu übernachten, hoffen die Betreiber. Im April, wenn die Temperaturen steigen, ist naturgemäß Schluss mit eisig: Die Vergänglichkeit ihres Tuns ist allen Mitarbeitern des Schneehotels bewusst. „Sehr viel Arbeit für eine kurze Zeit“, findet Wernet. „Im Frühjahr geben wir uns die Hand, und die Belegschaft verschwindet in alle Himmelsrichtungen. Da ist viel Wehmut dabei.“ Der ehemalige Sportstudent wird danach Touristen durch Tiroler Schluchten führen und erst Ende des Jahres auf den Zugspitzplatt zurückkehren – um das nächste Igludorf zu bauen.