Hamburg.

Niedergeschlagen, in sich gekehrt, antriebslos, hoffnungslos – typische Symptome einer Depression. Das gilt zumindest für Frauen. Bei Männern zeigt sich diese seelische Erkrankung häufig ganz anders. „Während Frauen sich eher zurückziehen, gehen Männer mehr nach außen, sie werden reizbarer und feindseliger, sind schneller gekränkt, trinken mehr Alkohol, geraten häufiger in Auseinandersetzungen und neigen zu riskanteren Verhaltensweisen, zum Beispiel zu schnell Auto zu fahren“, sagt Dr. Hans Peter Unger, Chefarzt der Psychiatrie im Asklepios Klinikum Harburg.

Der Grund für diese unterschiedlichen Symptome sei zum einen biologisch erklärbar, und zwar durch die verschiedenen Hormone, die bei Frauen und Männern das seelische Gleichgewicht beeinflussen. Doch auch der Umgang mit Krisen unterscheidet sich: Während Frauen eher bei sich selbst die Schuld suchen, geben Männer häufiger anderen Menschen oder äußeren Umständen die Schuld an ihrer Erkrankung.

Männer sind von Scheidungen stärker emotional getroffen

Dass die Unterschiede bei Depressionen von Männern und Frauen noch tiefer reichen, zeigen auch neue Erkenntnisse, die jetzt auf dem Weltkongress für Psychiatrie in Berlin vorgestellt wurden. Sie stammen aus einer amerikanischen Studie („Veterans affairs normative aging study“), in der Männer über Jahrzehnte hinweg auf ihre psychische und körperliche Gesundheit im Alter, Risikofaktoren und Resilienz (Widerstandskraft gegen Stress) untersucht worden sind. „Dabei zeigte sich, dass die Zahl der negativen Lebensereignisse, die mit dem Verlust von Bindungen an eine Person oder einen Ort zusammenhängen, eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob jemand im Alter kränker oder gesünder ist“, sagt Unger.

Dieser Zusammenhang werde für Männer immer eindeutiger. „Bisher war man immer davon ausgegangen, dass die Gesundheit im Alter umso schlechter ist, je mehr negative einschneidende Lebensereignisse wie Kündigung, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Unfälle jemand zu verkraften hat“, sagt Unger. Aber jetzt wisse man, dass bei Männern jene Lebensereignisse eine entscheidende Rolle spielen, die mit dem Verlust einer Bindung einhergehen. Für Frauen hingegen seien die Studienergebnisse widersprüchlich.

Bekannt ist auch, dass Männer mit der Einsamkeit nach Trennungen, einem bedeutenden Risikofaktor für Depressionen, schlechter zurechtkommen als Frauen. Sie sind von Scheidungen stärker emotional betroffen. „Frauen können besser alleine leben, sich in einem Netz von Freundschaften bewegen, mit Freundinnen über ihre Gefühle sprechen und einen Weg finden, mit der neuen Situation umzugehen. Männer hingegen geraten nach der Trennung von der Partnerin in eine ausgeprägtere Krise und stürzen sich schneller als Frauen wieder in eine neue Beziehung, um dem Alleinsein zu entkommen“, sagt Unger. Das Klischee des Mannes, der als einsamer Cowboy durch die Welt streife, während die Frau für das Beziehungsleben zuständig ist, ist laut dem Psychiater nur vordergründig: „Für Männer spielt die Bindung an Personen und Orte wahrscheinlich eine viel größere Rolle, als sie im Tagesgeschäft nach außen zeigen.“

Einsamkeit ist zwar für beide Geschlechter ein Risikofaktor für eine Depression. „Aber Frauen können Einsamkeit eher abpuffern. Sie haben andere Möglichkeiten, sich wieder mit anderen Menschen zu verbinden, und erleben sich nach einer Scheidung von einem Mann auch nicht so abhängig, erleben den Verlust nicht so einschneidend und dramatisch wie Männer. Männer haben nicht so ein hohes Verhaltensrepertoire der Kompensation und reden auch untereinander weniger über Gefühle.“

Wie stark sich das Alleinsein auch auf den Verlauf einer Depression auswirken kann, zeigt ein Blick auf die Suizidgefährdung. Frauen erkranken zwar doppelt so häufig an einer Depression wie Männer. „Aber depressive Männer haben ein deutlich höheres Suizidrisiko als depressive Frauen. Die Hochrisikogruppe für Suizide sind ältere allein lebende Männer“, sagt Unger.

Isolation ist ein wichtiger Risikofaktor für die seelische und körperliche Gesundheit. „Der Mensch ist als Beziehungswesen auf den Kontakt mit anderen angewiesen. Und Alleinsein führt immer zu einem höheren Risiko für Angst und Depression, Sucht, Feindseligkeit, Herz-Kreislauf-Problemen, Bluthochdruck und Herzinfarkt“, sagt der Psychiater.

Weitere Risikofaktoren für eine Depression sind körperliche Erkrankungen wie Parkinson, Herzschwäche, Diabetes, chronische Schlafstörungen, Schilddrüsenerkrankungen. Auch im Verlauf psychischer Erkrankungen wie Sucht , Schizophrenie oder Borderline treten gehäuft Depressionen auf. Und die Gefährdung kann schon vor der Geburt beginnen, denn auch chronischer Stress der Mutter während der Schwangerschaft zählt zu den Risikofaktoren. Auch wer in der frühen Entwicklungszeit bis zum sechsten Lebensjahr Vernachlässigung oder gar Gewalterfahrungen erlebt, hat im späteren Leben ein höheres Depressionsrisiko.

Oft kommen mehrere Risikofaktoren zusammen: bestimmte Risikogene, ein Trauma, Beziehungsverluste und Arbeitslosigkeit oder auch die Befürchtung, die Arbeit zu verlieren. „Umgekehrt können auch positive Ereignisse wie zum Beispiel beruflicher Aufstieg, Heirat oder Hausbau eine Depression auslösen, sind aber keine Risikofaktoren. Denn bei solchen positiven Lebensveränderungen können der eigene Perfektionismus und die Neigung zu Grübelspiralen dazu führen, dass die Betroffenen befürchten, den neuen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein“, sagt Unger.

Es gibt aber auch eine Reihe von Faktoren, die das Risiko für eine Depression senken. Dazu gehören positive soziale Kontakte. Auch die Widerstandsfähigkeit gegen Stress sowie die Fähigkeit, negative Gefühle schnell hinter sich zu lassen, können einer Depression vorbeugen. Genauso Optimismus, die Fähigkeit zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist, das Gefühl, selbst etwas bewegen zu können, soziale Absicherung, Anerkennung und Arbeit. „Auch die Fähigkeit, mir selbst und anderen verzeihen zu können, eine gute Portion Humor, Dankbarkeit und ein Lebenssinn sind Schutzfaktoren“, sagt Unger.

Ist es bereits zu einer Depression gekommen, sind wiederum die Frauen im Vorteil, wenn es darum geht, frühzeitig Hilfe zu suchen. „Frauen nehmen schneller und besser wahr, wenn in ihrem Körper oder ihrer Seele etwas nicht in Ordnung ist“, sagt Unger. Zudem fällt es ihnen auch leichter, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.