Othmarschen. Der Arzt Dr. Martin Buchholz gründete nach einem Herzinfarkt einen Verein. Der Othmarschener fordert eine bessere Ersthelfer-Ausbildung

Plötzlich bricht Michael K. auf dem Elbwanderweg kurz hinter dem Hafen am Anleger Teufelsbrück zusammen. Zwar alarmieren Zeugen sofort über den Notruf die Feuerwehr, doch Hilfe lässt auf sich warten. Wertvolle Minuten verstreichen, während Sanitäter sich zu Fuß einen Weg zu dem Mann bahnen müssen – vorbei an den kruzfristig an dieser Stelle fest installierten­ Pollern. Der 47-Jährige stirbt später im Krankenhaus.

„Er würde heute noch leben, wenn sofort mit der Reanimation begonnen worden wäre“, ist sich Dr. Martin Buchholz sicher.

Der Mediziner zielt mit seiner Kritik überraschenderweise nicht auf die fehlende Abstimmung zwischen Behörde und Rettungsdienst in Sachen Wegsperrung. Zwar sei die Kommunikation eindeutig verbesserungsfähig, so Buchholz. Aber: „Jeder alarmierte Sanitäter oder Arzt ist im Notfall immer zu spät dran“, so seine steile These. Zu der kommt er aufgrund simpler Mathe­matik. Denn mit jeder Minute sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit von dem Zeitpunkt des Herzstillstands um zehn Prozent. In Hamburg benötigten die Rettungswagen der Feuerwehr in den meisten Fällen acht Minuten bis zum Einsatzort. Das heißt aber auch, wenn ein Rettungswagen nach mehr als zehn Minuten kommt und zwischenzeitlich keine Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen wurden, dann hat der betroffene Mensch fast keine Überlebenschance mehr.

Für den Othmarschener Buchholz ist daher klar: „Es reicht nicht aus, sich auf die Profis vom Rettungsdienst zu verlassen.“ Er sieht all diejenigen in der Pflicht, die gleich zur Stelle sind. Also vorbeikommende Spaziergänger, Ersthelfer, Wanderer, Zeugen – also die Amateure. Und da gibt es noch viel Potenzial, wie ein Blick auf die Nachbarländer beweist. Denn laut einer neuen Studie liegt die Rate von Laien-Reanimationen hierzulande bei gerade einmal 31,2 Prozent. Damit schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen europä­ischen Ländern sehr schlecht ab. In Tschechien, Skandinavien, Holland und Irland liegt sie beispielsweise bei mehr als 70 Prozent. Genau dorthin will auch Buchholz kommen. Ein ambitioniertes Ziel.

„Das ist eine nationale Aufgabe, und es braucht viele Unterstützer“, betont Buchholz. Seinen Beitrag dazu leistet er bereits. Vor knapp einem Jahr gründete der Othmarschener den Verein „Ich kann Leben retten!“ Anlass war ein Herzinfarkt, den der Mediziner auf einer Reise in Miramar erlitt. Zwei Stunden lang fuhren seine Frau und er durch die Nacht bis zum nächsten Krankenhaus. „Ich habe so viel Glück, dass ich noch lebe. Es hätte jederzeit ein Kammerflimmern auftreten können“, erinnert sich Buchholz. Weil er etwas von seinem Glück abgeben will und da er mit seiner Frau sowie Freunden später lange diskutierte, was hätte man im Ernstfall tun können?, gründete er den Lebensretter-Verein. Dem widmet er sich nun nach dem Berufsende mit voller Kraft und Engagement.

Die Idee ist es, so viele Menschen wie möglich zu schulen, ihnen die Angst zu nehmen etwas falsch zu machen und Hemmungen abzubauen. „Es ist so einfach zu helfen. Das kann im Grunde jedes Kind“, sagt Buchholz. Daher bietet der Verein auch kostenlose Erste-Hilfe-Schulungen für Grundschüler an. Zudem suchen Buchholz und seine Mitstreiter den Schulterschluss mit der Wirtschaft und schulen Mitarbeiter für Firmen, allerdings nicht kostenlos. Die Einnahmen fließen aber laut Buchholz wieder in die Finanzierung der kostenlosen Angebote für Schüler. Auf diese Weise konnte „Ich kann Leben retten!“ im vergangenen Jahr bereits 3000 Schülern Erste Hilfe lehren. In Skandinavien sei das Standard an Schulen, so Buchholz. Er wünscht sich: „Lebenretten sollte auch an deutschen Schulen Unterrichtsfach werden.“

Auf diese Weise würden Schüler doch auch das richtige Verhalten im Verkehr lernen oder Schwimmunterricht bekommen. Buchholz will die Lücke füllen. Sein Ziel: Bis 2019 alle Siebtklässler in Hamburg in Erster Hilfe schulen.

Egal, ob große oder kleine Helfer, die Seminarleiter des Vereins sind bemüht, das Wissen ums richtige Helfen im Notfall so einfach wie möglich zu vermitteln. Kompliziertes Pulsmessen sei von gestern, so Buchholz. Im Notfall solle man den Menschen ansprechen, rütteln, kurz schauen, ob man eine Atmung erkennt. Ist das nicht der Fall, „Kopf in den Nacken“, so der Mediziner, um zu verhindern, dass der Mensch in Not erstickt. Und dann Hände auf die Brust – laut Buchholz setzten die meisten vollkommen automatisch richtig an – und in regelmäßigem Abstand so lange drücken, bis die alarmierten Rettungsprofis kommen.

Aber kann man nichts falsch machen, den Menschen am Ende mehr schaden, anstatt zu helfen? Buchholz schüttelt den Kopf. „Jemand, der ohne Puls und Atmung ist, ist per Definition tot. Was kann man da noch falsch machen? Man gibt ihm vielmehr eine Chance zu überleben.“ Buchholz verweist darauf, dass genau an dem Elbwanderweg­abschnitt, auf dem der 47-Jährige zuletzt um sein Leben rang, lange Zeit ein Schild an einem Bauzaun angebracht war. Darauf stand geschrieben: „Am 28. Mai erlitt ich an dieser Stelle einen schweren Herzinfarkt. Sie waren sofort zur Stelle und haben mich nach Auskunft der Ärzte vorbildlich reanimiert. Dadurch habe ich nicht nur überlebt, sondern konnte vollständig genesen. Hierfür sind meine Frau und ich Ihnen unendlich dankbar. DANKE!!!“

Michael K. hatte nicht so viel Glück. Am 8. Januar wird er auf dem Heidefriedhof Neugraben beigesetzt. Seine Trauerfeier organisiert ein Schachfreund und Theologe.