Berlin.

137 Millionen Euro, schätzt die pyrotechnische Industrie, werden die Deutschen in diesem Jahr für Silvesterraketen und -böller ausgeben, 37 Millionen Euro mehr als vor zehn Jahren. Doch das bunte und laute Vergnügen birgt Gefahren. Ein Überblick.

Hände

Circa 50 bis 60 schwere Handverletzungen werden nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie in einer Silvesternacht in jedem deutschen Großstadtkrankenhaus behandelt. Betroffen seien zumeist Männer im Alter von 15 bis 30 und 50 bis 60. Zu den häufigsten Verletzungen zählten Verbrennungen, abgetrennte Finger oder Fingerglieder.

„Handverletzungen durch Böller sind oft so schwer, dass sie die Lebensqualität des Patienten langfristig einschränken können“, sagt Dr. Walter Schäfer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. Zwar könnten Mediziner durch wiederherstellende Operationen heute viel erreichen, fast immer aber blieben Einschränkungen beim Greifen, Halten oder dem Tastsinn zurück.

Besonders tückisch sind nach Angaben von Prof. Joachim Windolf Gewebeschäden, die durch den Explosionsdruck ausgelöst werden. Diese seien in ihrem Ausmaß nicht sofort erkennbar. „Als Folge schwillt das Gewebe im Verlauf der Verletzung weiter an. Und dies führt zu einer zusätzlichen Druckerhöhung, die schließlich die Durchblutung der Hand gefährdet“, sagt der Direktor der Klinik für Unfall- und Handchirurgie an der Universitätsklinik Düsseldorf. Werde dies nicht behandelt, könnten die Finger irreparabel geschädigt werden.

Ohren

Ein Silvesterknaller, der in unmittelbarer Nähe explodiert, kann nach Angaben des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte eine Lautstärke von 160 bis 190 Dezibel erreichen. Zum Vergleich: Ein Martinshorn in zehn Meter Entfernung ist 110 Dezibel laut. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie erleiden etwa 8000 Menschen in einer Silvesternacht Verletzungen des Innenohres durch ein Knalltrauma. Mehr als ein Drittel davon behielte bleibende Schäden zurück – Ohrgeräusche etwa oder einen Hörverlust.

„Bei einem Knall ist die Impulsdauer des Schalls extrem kurz, meist unter drei Millisekunden“, sagt Dr. Michael Deeg, Facharzt für HNO-Heilkunde und Sprecher des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Die hohe Schallenergie führe anders als bei einer Explosion nicht zu einer Schädigung des Trommelfells, aber zu Schäden am Innenohr. Ab einem Wert von 150 Dezibel sei mit Schäden zu rechnen. Der Übergang vom Knall- zum Explosionstrauma könne bei einem Silvesterfeuerwerk fließend sein. „Wenn man etwa an die Unart denkt, Menschen Kanonenschläge in die Kapuze zu stecken, ist ein Explosionstrauma denkbar“, sagt Deeg.

Bei einem Knalltrauma haben Betroffene sofort das Gefühl, nichts mehr zu hören, häufig verbunden mit extremen Ohrgeräuschen. „Bei einem Knalltrauma kann die Hörschwelle erheblich absinken, bis hin zur Ertaubung“, sagt Deeg. Bei kleineren Traumata könnten Vertaubung oder Ohrgeräusche nach etwa 24 Stunden wieder verschwinden. „Ist das nicht der Fall, sollten Betroffene zum HNO-Arzt gehen, um eventuell eine Therapie einleiten zu lassen“, rät Deeg. Standardtherapie sei eine über mehrere Tage andauernde Infusionsbehandlung mit Kortison. Deeg: „Eine weitere Möglichkeit ist eine hyperbare Sauerstofftherapie, bei der Patienten unter deutlich erhöhtem Druck reinen Sauerstoff atmen.“

Der Berufsverband der HNO-Ärzte empfiehlt das Tragen eines Hörschutzes. Je nach Schutzwirkung könnten Stöpsel oder Kapseln die Schallstärke um bis zu 40 Dezibel verringern. „Wer in einer Umgebung steht, in der undiszipliniert geknallt wird, und in dieser Situation weder Kapsel noch Stöpsel dabeihat, dem empfehle ich, zumindest etwas Zellstoff, etwa ein Stück Taschentuch, ins Ohr zu stecken“, erklärt Michael Deeg.

Augen

Mit einer Umfrage zum Jahreswechsel 2016/17 hat die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) das Ausmaß von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper untersucht: 41 Augenkliniken meldeten 350 Betroffene, ein Drittel davon waren Kinder oder Jugendliche. Bei den jungen Erwachsenen war der Großteil der Verletzten zwischen 18 und 30 Jahren alt. „Nur die Hälfte der Kinder hat den verursachenden Feuerwerkskörper selbst gezündet“, sagt Prof. Hansjürgen Agostini von der Klinik für Augenheilkunde am Uniklinikum Freiburg. Jeder vierte Patient habe schwere Verletzungen an Horn-, Bindehaut oder Augenlid erlitten, bei zehn Prozent der Betroffenen sei infolge der Verletzungen mit einem Sehverlust zu rechnen.

„Unsere Ergebnisse insbesondere zur Anzahl verletzter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener sind mit denen internationaler Studien vergleichbar. Dramatisch ist das hohe Risiko, als unbeteiligter Zuschauer oder Passant getroffen zu werden“, sagt Dr. Ameli Gabel-Pfisterer vom Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam. Die DOG rät, das Abbrennen von Feuerwerkskörpern ausgebildeten Pyrotechnikern zu überlassen. Wer aufs Knallen nicht verzichten wolle, sollte eine Schutzbrille tragen.