Kandel.

Das Mädchen war völlig arglos. Mit zwei Freunden, Jungs in ihrem Alter, lief die 15-Jährige nachmittags durch das Städtchen, als sie ihren Ex-Freund traf. Das Aufeinandertreffen muss ihr unangenehm gewesen sein, denn der gleichaltrige Junge stalkte sie, seit sie sich Anfang des Monats von ihm getrennt hatte. Jedenfalls ließ sie ihn stehen und ging mit ihren Bekannten in einen Drogeriemarkt. Der Laden war voll, 15 bis 20 Personen hielten sich darin auf. Die 15-Jährige konnte nicht damit rechnen, dass sie dort in Gefahr war. Doch ihr Ex-Freund folgte ihr, baute sich vor ihr auf und erstach die Schülerin vor den Augen ihrer Begleiter, der anderen Kunden und der Angestellten mit einem Messer.

Es ist ein schreckliches Verbrechen, das sich am Mittwoch im pfälzischen Fachwerkort Kandel zugetragen hat. Es geht nicht nur um eine enttäuschte Liebe: Plötzlich richten sich die Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf die 9000-Einwohner-Gemeinde. Die Tat wird die Debatte, ob von Flüchtlingen eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht, weiter anheizen. Denn der tatverdächtige, in Untersuchungshaft sitzende Junge ist ein Asylbewerber aus Afghanistan.

Dabei sind viele Hintergründe der Tat noch unklar. „Wir sind am Anfang der Ermittlungen“, stellt die leitende Oberstaatsanwältin Angelika Möhlig klar. Der Festgenommene, der nach der Attacke von den Begleitern des Opfers und weiteren Kunden an der Flucht gehindert wurde, verweigert bislang die Aussage.

Es zeichnet sich eine Beziehungstat ab. Die 15-Jährige war mehrere Monate mit dem Jungen zusammen, wie der Ludwigshafener Polizeivizepräsident Eberhard Weber sagt. Nachdem sie die Beziehung vor einigen Wochen beendet hatte, bedrängte ihr Ex-Freund sie am Telefon und über soziale Medien. Nach Darstellung von Chefermittler Dieter Lippold drohte er, er werde sie „abpassen“. Die Eltern des Mädchens zeigten ihn deshalb Mitte Dezember wegen Nötigung an.

Seitdem stand der Junge unter Beobachtung. Die Polizei sei zu seiner Schule gefahren, um eine sogenannte Gefährderansprache zu halten, berichtet Weber. „In aller Regel fruchten solche Ansprachen auch.“ Noch am Mittwochvormittag, wenige Stunden vor der Tat, suchten Beamte den Jugendlichen erneut auf und händigten ihm eine Vorladung wegen der Strafanzeige aus. Trotzdem konnte die Polizei das Mädchen nicht retten. Hat die Behörde Fehler gemacht? „Die Frage kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten“, sagt Polizeivizepräsident Weber während einer Pressekonferenz am Donnerstag. Er spricht vom „üblichen Prozedere“: „Es gibt keine Anhaltspunkte für irgendein Versäumnis.“

Der Junge war der Polizei bereits bekannt

Der Jugendliche lebt seit dem Frühjahr 2016 in Deutschland. Er kam als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling zunächst nach Hessen, reiste dann weiter nach Rheinland-Pfalz. Zuletzt lebte er zusammen mit drei anderen Jungen in einer betreuten Jugendwohngruppe in Neustadt an der Weinstraße. Schon bevor er seine Ex-Freundin bedrohte, war er der Polizei aufgefallen: Einmal malträtierte er einen Jugendlichen auf dem Schulhof mit Faustschlägen, weil er sich beleidigt fühlte.

Bei seiner Festnahme in der Drogerie habe er teilnahmslos gewirkt, heißt es. Die Tatwaffe – ein Küchenmesser mit 20 Zentimeter langer Klinge – hatte er offenbar dabei, als er dem Mädchen folgte. Mehrmals stach er damit zu. Zeugen redeten noch auf die 15-Jährige ein, sie dürfe das Bewusstsein nicht verlieren. Doch im Krankenhaus erlag sie ihren Verletzungen.