Dortmund.

Von den 28 möglichen Opfern des Attentates auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund ist am Donnerstag nur einer in den Gerichtssaal gekommen. Es ist der 60 Jahre alte Polizist, der den BVB-Bus am 11. April auf seinem Motorrad eskortierte und durch die Detonation dreier Sprengsätze ein Knalltrauma erlitt. Vermutlich wollte er erfahren, wie sich der Angeklagte zu dem mörderischen Anschlag äußert. Doch was er mitbekommt, ist lediglich ein formaljuristischer Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Von Sergej W., dem Angeklagten, vernimmt er kein Wort.

Verlesen wird die Anklageschrift. 28-facher versuchter Mord wird ihm vorgeworfen. Aber passen diese Vorwürfe eines mörderischen Anschlags zu diesem schmächtigen, kleinen Mann, 28 Jahre alt, der auf der Anklagebank Platz nimmt? Die großen Handschellen, die Justizwachtmeister ihm erst abnehmen, nachdem er sich gesetzt hat, passen jedenfalls nicht zu ihm.

Nervös wirkt der Elektrotechniker aus Rottenburg am Neckar, der in Russland aufwuchs. Als Richter Peter Windgätter, Vorsitzender des Schwurgerichtes, ihn fragt, ob er nur die deutsche oder auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt, antwortet er unsicher: „Beide, glaube ich.“ Sein Verhalten hebt sich ab von der akribischen Tatausführung, die die Staatsanwaltschaft ihm unterstellt. Sein Plan laut Anklage: Mit einem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB wollte er am 11. April die Spieler verletzen oder gar töten, um den Börsenwert der BVB-Aktie schnell abstürzen zu lassen. Staatsanwalt Carsten Dombert: „Der Angeklagte handelte, um sich zu bereichern.“ Denn zuvor hatte Sergej W., so ergaben die Ermittlungen, Optionsscheine gekauft, mit denen er auf den Kursverlust gesetzt hatte. Diese mörderische Wette, so heißt es weiter in der Anklage, hätte ihm einen Gewinn von rund 500.000 Euro eingebracht.

Doch zum Kursverlust kam es nicht. Die drei Sprengsätze, die der Täter in einer Hecke vor dem Mannschaftshotel verborgen hatte, trafen den Bus auf seinem Weg zum Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco nicht voll. Ein Metallstift drang in die Kopfstütze neben dem Kopf von Spieler Marc Bartra ein, die Detonation brach ihm den Arm. Außerdem verletzte der laute Knall den Polizisten. Er, aber auch einige der Spieler, leiden nach Angaben ihrer Anwälte noch heute unter den psychischen Folgen der Explosion.

Angeklagter schweigt vor Gericht

Die Ermittlungen hatte zunächst das Bundeskriminalamt geführt, weil am Tatort islamistische Bekennerschreiben gefunden wurden. Später entpuppten sie sich als Fälschung. Der Schluss liegt nahe, dass ein Verdacht auf IS-Kreise in Belgien gelegt werden sollte. Denn zuvor hatten die Ermittler zahlreiche Indizien gefunden, die Sergej W. belasten. Persönliche Aufzeichnungen über die Tat, Computerspuren und Überwachungsvideos zeichneten ein überzeugendes Bild. Selbst der Besuch in einem Erkrather Saunaclub wenige Stunden vor der Explosion ist in den Akten dokumentiert.

Verteidiger Carl W. Heydenreich aus Bonn setzt sich mit all diesen Vorwürfen nicht auseinander. Noch vor Verlesung der Anklage kündigt er einen Befangenheitsantrag an, den er dann doch nicht stellt. Er nutzt die Gelegenheit, um sich über eine „Vorverurteilung neuer Dimension“ und einen „enormen öffentlichen Erwartungsdruck“ auf das Gericht zu beklagen. „In keiner anderen Großstadt als Dortmund gibt es so eine Identifikation mit einem Verein.“ Der Staatsanwaltschaft wirft Heydenreich zudem vor, die komplette Ermittlungsakte an Journalisten herausgegeben zu haben. Belege für seine Behauptungen bleibt er schuldig.

Staatsanwalt Carsten Dombert weist die Vorwürfe als „falsch“ und „unseriös“ zurück: „Die Indizienlage ist so dicht, dass die Verteidigung sich offenbar deshalb mit anderen Dingen befasst.“ Auf seine Frage, ob der Angeklagte sich zu den Vorwürfen des mörderischen Anschlags äußern will, bekommt er nur eine hinhaltende Antwort der Verteidiger. Am 8. Januar wird der Prozess fortgesetzt.