24 Stunden am 24. Dezember: Während die einen feiern, müssen die anderen arbeiten. Ein Ausblick auf Heiligabend

Matthias Schmoock

Landhaus Scherrer am frühen Morgen: Für Chef Heinz Wehmann und sein Team ist der 24.12. „Großkampftag“. Wehmann sagt das lachend, ist aber auch verdientermaßen stolz auf das Erreichte. Das „Scherrer“, seit 1976 vor Ort, gehört zu den traditionsreichsten Restaurants der Elbvororte – und zu den besten. Es gibt viele Stammkunden, die am 24. ausschließlich Scherrer-Gerichte essen. „Etwas anderes ist für sie undenkbar“, so Wehmann. 154 „Abholungen“ gab es an Heiligabend im vergangenen Jahr, diesmal ist die Zahl sogar noch etwas höher. Kurierdienste und Taxifahrer geben sich an der Elbchaussee die Klinke in die Hand, einige Gäste holen selbst ab. Spitzenreiter ist Gänsebraten, gefolgt von Ente. Auch Hummer gehört zum Repertoire.

Für Wehmann und seine Mitarbeiter bedeutet dieser Tag eine logistische Herausforderung. Im Schichtwechsel wird fast ununterbrochen gebraten und gekocht, parallel müssen die Gerichte wie am Fließband verpackt werden. Die Kunst dabei: Die Qualität muss so hoch sein, wie bei einem am Tisch servierten Menü, und alles muss auch so appetitlich aussehen. Manche essen mittags, andere abends. Der eine wünscht das Geflügel portioniert, dem anderen kommt nur eine durchgebratene Gans ins Haus, und ein Dritter lässt das vorbereitete Tier abholen, um es Zuhause selbst in die Röhre zu schieben.

Fluggans nach London? Scherrer macht’s möglich

Wehmann und sein Vize Tobias Schneider wirbeln durch die Küche. 800 Gänse hat Klaus Wehmann für die Zeit von November bis Ende Dezember auf einem Biohof vorbestellt – und das reicht „man so gerade eben“. Wehmann ist ein cooler, freundlicher Typ, der aber verschlossen wie eine Auster sein kann, wenn es um Namen seiner prominenten Gäste geht. Zu entlocken ist ihm immerhin, dass eine gebratene Gans „um die 150 Euro“ kostet – ohne Beilagen. Bestellungen aus Frankfurt und Kitzbühel liegen vor, einmal wurde per Flieger nach London geliefert.

Hospiz Blankenese, um 10.09 Uhr: Pflegedienstleiter Andreas Hiller und seine Stellvertreterin Bettina Orlando erwarten gleich hohen Besuch in der gerade kürzlich eröffneten Einrichtung. Bischöfin Kirsten Fehrs hat sich angesagt. Sie möchte sich einen Eindruck von dem Sterbehaus in der Godeffroy­straße 29 verschaffen, den Gästen Trost spenden und den Mitarbeitern ihre Anerkennung aussprechen.

„Auch an Heiligabend sind alle Dienste besetzt“, erklärt Hiller. Das sind drei Schichten à zwei Mitarbeiter, Hiller und Orlando sind zusätzlich vor Ort. Außerdem haben sich sogar zwei ehrenamtliche Helfer zur Verfügung gestellt. Zwar ist die personelle Besetzung normal, aber ansonsten möchten die Mitarbeiter den derzeit neun Bewohnern des Hauses einen besonderen Tag bereiten. Wer möchte und sich fit genug fühlt, der wird von einem Pfleger und einem freiwilligen Helfer zum Gottesdienst in die nahegelegene Kirche begleitet. Zudem wird versucht, ob eine Übertragung eines Gottesdienstes mittels Kamera in die Zimmer klappt – wenn die Technik denn mitspielt.

Für den Abend ist eine Feier samt Festschmaus im geschmückten Wohnzimmer des Hospizes geplant. Mitarbeiter, Gäste, Ehrenamtliche und Angehörige sind willkommen. Jeder kann, niemand muss – außer Pflegedienstleiter Andreas Hiller, der ist fürs Kochen verantwortlich. Doch bevor er abends den Herd anschmeißt, muss er noch schnell das eine oder andere Geschenk einpacken. Denn das Hospiz-Team beschenkt jeden Bewohner und deren Angehörigen mit selbst gemachten Kleinigkeiten. Woher sie für all das die Zeit und Kraft nehmen? „Das geht fast nebenbei und die Freude der Beschenkten, gibt viel Kraft zurück“, sagt Orlando.

Rissener Krankenhaus, 14.00 Uhr: Dr. Georgiana Militaru hat Zeit für eine Kaffeepause zwischendurch. Seit 8 Uhr ist die aparte Kardiologin als Notärztin im Einsatz, bis 20.45 Uhr muss sie noch durchhalten. Wenn andere gemütlich Zuhause unterm Weihnachtsbaum oder in einem Restaurant sitzen, geht es im Asklepios Westklinikum rund. Im Schockraum der Notaufnahme drehen sich die Einsätze buchstäblich um Leben und Tod. Knochenbrüche während der Feiertage gehören fast schon zum Standardprogramm – egal, ob rutschiges Laub, Glatteis oder ein falscher Schritt im Treppenhaus dahinterstecken.

„Manche Menschen scheinen an Heiligabend nicht mehr so gut auf den Beinen zu sein“, sagt die 26-Jährige di­plomatisch. Was sich nach Routine anhört, kann schnell mit komplizierten Knochenbrüchen oder schweren Kopfverletzungen einhergehen. In heißen Phasen ist der Warteraum der Notaufnahme voll, parallel werden die Patienten per Rettungswagen fast pausenlos angeliefert. Außer Sturzverletzungen stehen Alkoholvergiftungen und damit verbundene Psychosen ganz oben auf der Liste, hinzu kommen Herzinfarkte oder infarktähnliche Symptome, die nicht selten mit opulenten Feiern oder vor-weihnachtlichem Stress zusammenhängen. Und auch das ist (leider) Teil der Weihnachtszeit: Selbstmordversuche, ausgelöst durch Depressionen, die viele anfallen, wenn überall sonst fröhliche Partystimmung herrscht.

Phasen der Müdigkeit darf sich Dr. Militaru nicht gönnen, auch besinnliche Gedanken sind fehl am Platz, sie würden nur ablenken. „Natürlich ist meine Familie traurig, dass ich nicht mitfeiern kann“, sagt sie, allerdings gibt es für die Schichtdienste Ausgleichstage um das Versäumte nachzuholen. „Das ist mein Job“, so die Medizinerin, „und den liebe ich nun mal.“

Kinderhaus Mignon in Nienstedten: Gegen 15 Uhr kehrt etwas Ruhe in der Wohnung von Maya Schneider ein. Die Kinder sind mit den Männern Tiere füttern. Gegen 18 Uhr erwartet die Leiterin des Kinderhauses sie zurück. Bis dahin hat sie Zeit, Geschenke einzupacken, Plätzchen zu backen und den Weihnachtsbaum zu schmücken. Der kommt am 24. Dezember ins Haus. Geschenke gibt es in der Wohngemeinschaft aber erst am 25. Dezember. Die Kinder dürfen an Heiligabend aber schon eines aufmachen. Die Heilpädagogin erwartet zum Fest zusätzlich zu ihrer derzeit „sechsköpfigen Familie“, Freunde, Angehörige und ehemalige Pflegekinder.

Das Kinderhaus Mignon bietet gefährdeten Kindern einen Schutzraum. Derzeit leben hier 14 von ihnen, die nicht in ihren Familien bleiben konnten. Viele sind schwer traumatisiert. Aufgrund ihrer Lebenssituation müssen sie genauso wie Maya Schneider geschützt werden, ein Foto ist nicht möglich. Dafür springen Sandra Quadflieg und Stefanie Tapella gern ein. Als Vorstandsmitglieder der Benita Quadflieg Stiftung stehen sie dem Kinderhaus ohnehin in allen Situationen bei. Die Stiftung unterstützt die Arbeit des Hauses finanziell – auch an Weihnachten. „Geschenke, Tannenbaum, Festessen: Das ermöglichen wir den Kindern von Herzen gern“, sagt Quadflieg. Mit dem Hartz-IV-Satz, den es für die Kinderbetreuung gibt, sei das so nicht möglich.

Schneider und ihre Kollegen legen Wert darauf, dass Weihnachten im Haus Mignon nicht zur Materialschlacht verkommt. „An Weihnachten geht es uns um starke Bilder und inhaltliche Kraft“, sagt sie. Daher ist Weihnachten im Haus Mignon magisch, voller Geschichten über Wichtel und Engel. Wenn das Fest am Abend beginnt, wird zudem viel gesungen und gelesen.

Na dann: Frohe Weihnachten!