Berlin.

Etliche Spielzeuge in Kinderzimmern werden höchstens einmal im Jahr angerührt – trotzdem werden weihnachtliche Geschenkeberge das Überangebot auch in diesem Jahr weiter anwachsen lassen. „Viele dieser Produkte sind Zeitfresser, die eine sinnvolle Beschäftigung verhindern“, ist der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech von der Universität Siegen überzeugt. „Wenn Kinder mit Geschenken überhäuft werden, leiden ihre Fähigkeiten zur Genügsamkeit und zum Selbermachen.“

Eigentlich sei Weihnachten ein wunderbares Fest, sagt der Hamburger Wirtschaftspsychologe Joost van Treeck von der Hochschule Fresenius in Hamburg. „Wenn es das nicht geben würde, müsste man es erfinden.“ Es sei ein Lichterfest, man treffe seine Liebsten, es werde gesungen und es gebe liebevoll ausgesuchte oder gebastelte Geschenke – was den Schenkenden ebenso glücklich mache wie den Beschenkten.

Weihnachten sei ein wunderbarer Anlass, sich Zeit zu nehmen und zusammen zu backen, zu kochen, zu singen, Instrumente zu spielen, betont auch ­Paech. „Das bietet einem Kind Herausforderungen, es kann nachher stolz auf das Ergebnis sein.“ In vielen Familien aber sei dafür keine Zeit. „Zeit ist heutzutage das knappste Gut des Menschen in unserer Gesellschaft.“

Wir empfinden Stolz über den Besitz von Dingen

Doch der Fokus auf materielle Dinge ist stark. „Wir freuen uns über ein Geschenk und eben nicht nur über die Geste des Beschenktwerdens und die darin zum Ausdruck kommende Zuwendung des Schenkenden“, schreibt der Kommunikationsexperte Hermann Sottong in seinem Buch „Die größte Agentur der Welt“, in dem es um die Marktmacht von Verbrauchern geht. „Wir empfinden Stolz angesichts des Besitzes bestimmter Dinge.“ Das Verb „lieben“ werde mit Sachen mindestens ähnlich oft verbunden wie mit Menschen – man liebe seine neue Hose, sein Auto. „Solche Sätze erscheinen uns heute völlig normal und sind Ausdruck der emotionalen Besetzung von Dingen.“

Was entscheidet, welche Geschenke ich auswähle, wie viele und zu welchem Preis? „Das Kaufverhalten ist eine Mischung vieler Motive und Faktoren“, erklärt der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter von der Stiftung Kalaidos Fachhochschule in Zürich. In Zeiten politischer und ökonomischer Unsicherheit besinne sich der Mensch stärker auf das soziale Miteinander – und zu dessen Pflege sei Schenken sehr geeignet. Ein wichtiger Faktor sei die Tradition. „Wir lernen von Kindheit auf, dass die Weihnachtszeit eine Zeit vieler Geschenke ist.“

Selbst wechselnde Umweltbedingungen wie das Wetter beeinflussen das Kaufverhalten. „Schlechtes Wetter bedeutet schlechtere Laune, die wiederum rationalere Kaufentscheidungen zur Folge hat“, erklärt der Konsumexperte Joost van Treeck. Kaufhäuser versuchten, mit einer zelebrierten heilen Welt gegenzusteuern. Dennoch: Hält sich miserables Wetter in der Vorweihnachtszeit, dürften wohl mehr sinnvolle Dinge unterm Weihnachtsbaum liegen als in Jahren mit wunderschönem Herbst.

Einfluss hat auch der Sozialisationseffekt von Werbung: „Es wird uns erfolgreich vorgegaukelt, dass es normal und richtig ist, Kinder mit riesigen Spielzeug-Sets auszustatten“, sagt van Treeck. Wer jemanden beschenke, signalisiere damit: „Du bedeutest mir etwas, ich mag dich und habe den Wunsch, mit dir verbunden zu sein.“ Händlern und Unternehmen sei das bewusst. „Diese Schemata werden bedient, und es wird dem Konsumenten über alle verfügbaren Kanäle klargemacht: Es geht auf Weihnachten zu.“

Es sei leicht, das Kaufverhalten über das Maß des Nötigen hinaus zu triggern, ist der Züricher Konsumexperte Fichter überzeugt. „In Zahl oder Zeitraum limitierte Dinge zum Beispiel werden stark nachgefragt“, sagt er. „Wir sind Schnäppchenjäger, die glauben, durch Geldausgeben Geld sparen zu können.“ Neue Möglichkeiten böten zumindest den großen Internetanbietern ihre immensen Datensätze, sagt Fichter. „Sie können in Experimenten ganz leicht herausfinden, welche Auswirkungen Veränderungen ihres Portals haben.“ Detail für Detail werde so die Gestaltung optimiert. „Das setzt Anbieter noch mal an einen deutlich verlängerten Hebel“, glaubt Fichter. „Ob ein Konsument etwas kaufen will, entscheidet er schon noch selbst, aber was er will, lässt sich durchaus ein Stück weit steuern.“

Für echte Beziehungsgeschenke gelte das nicht, ist Sottong, Mitinhaber der Agentur System und Kommunikation, überzeugt. „Wenn ich jemanden gut kenne, weiß ich, was ihm gefällt, dann bleibt Werbung außen vor.“ Für viele allerdings sei Schenken reine soziale Norm oder sie hätten keine Zeit, sich Gedanken zu machen. „Dann kommt Werbung als Dienstleister ins Spiel – etwa über gezielt platzierte Werbung im Netz.“

Fernsehwerbung funktioniere nach wie vor, ergänzt der Wirtschaftspsychologe van Treeck. „Das Konzept zieht – natürlich nur bei Menschen, die das noch nutzen.“ Gerade für kleinere Kinder sei Fernsehwerbung ein „brutaler Hebel“ dafür, den Wunsch nach bestimmten Spielzeugen zu wecken. „Sie können nicht unterscheiden, was Information ist und was Werbung, alles wird von ihnen als wahr und richtig angenommen.“

Es sind die kleinen Dinge, die Glück bescheren

Allerdings sind auch viele Erwachsene nicht vor derlei gefeit – das zeige allein schon der Erfolg der für Produkte werbenden Instagrammer und Blogger. „Sie haben großen Einfluss auf das Kaufverhalten ihrer Follower“, sagt van Treeck. Es handle sich um sogenannte parasoziale Beziehungen: „Die Instagrammerin hat einen ähnlichen Stellenwert wie eine echte Freundin, die etwas empfiehlt.“

Auch bei Kindern gibt es typische Mechanismen: „Die Vorfreude ist meist viel wichtiger als letztlich das Geschenk selbst“, sagt van Treeck. „Viele Eltern kennen das: Das Geschenk war heiß ersehnt und liegt dann nach zwei Stunden schon wieder in der Ecke.“ In der Erwartungshaltung aber hinterlässt der Geschenkeberg Spuren: „Konsum- und Mobilitätsverhalten sind antrainiert“, betont der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech. „Die meisten Eltern trauen sich nicht mehr, Grenzen zu setzen, und geben selbst ein schlechtes Vorbild.“

Van Treeck empfiehlt, den eigenen Fokus zu überdenken. Wofür kaufe ich diese vielen Geschenke, was macht wirklich glücklich? „Untersuchungen zeigen immer wieder, dass es die kleinen Dinge sind, die Glücksmomente bescheren“, erklärt der Psychologe. „Im Alltag ist das die Bäckerin, die einen anlächelt, oder der Parkplatz, den man diesmal sofort gefunden hat.“ Jeder könne trainieren, solche Momente bewusster wahrzunehmen und eine wichtige Wahrheit zu verinnerlichen: „Es sind die Kleinigkeiten, die das große Glück ausmachen.“