Berlin.

Die Honigbiene ist Deutschlands drittwichtigstes Nutztier: Rind, Schwein, Biene. Neben ihrer großen Bedeutung für ein intaktes Ökosystem ist sie für die Wirtschaft als Bestäuberin von Nutzpflanzen Milliarden wert. Doch der Biene droht Gefahr, denn die Bestäuberleistung verdankt sie ihrem Gehirn, das – etwa so groß wie ein Sandkorn – Höchstleistungen vollbringt, das aber unter dem Einsatz moderner Insektizide leidet. Am Dienstag und Mittwoch will die EU-Kommission über eine weitere Beschränkung dieser Mittel diskutieren.

„Warum hat die Milbe eineso große Chance bei Bienen?“

Die Namen der Insektizide klingen sperrig: Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid. Sie gehören zur Gruppe der sogenannten Neonikotinoide. In der Landwirtschaft werden sie als Saatgutbeiz- oder Spritzmittel eingesetzt, um Schädlinge zu bekämpfen und die angebauten Pflanzen zu schützen. Doch ihre aggressive Wirkung entfalten sie auch gegen solche Tiere, deren Rückgang gar nicht beabsichtigt ist – darunter Bienen.

„Neonikotinoide lähmen oder töten Bienen bereits bei einer niedrigen Dosierung. Die tödliche Dosis für viele der Wirkstoffe beträgt etwa vier Milliardstel Gramm pro Biene“, sagt der britische Bienenexperte Dave Goulson von der Universität Sussex. „Bei schwächerer Dosierung beeinträchtigen sie unter anderem die Navigation und das Lernen.“ Auch die Bruterfolge seien schlechter, sagt Corinna Hölzel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Deutschland. „Die Larven entwickeln sich langsamer, die Spermienqualität ist schlechter, es gibt weniger Larven“, sagt die Referentin für Bienen und Pestizide. Und nicht nur die Biene leidet, das ganze Ökosystem wird durch den Einsatz der Insektizide beeinträchtigt. „Sie schädigen Regenwürmer, Ameisen. Vögeln fehlt in der Folge die Insektenmasse als Nahrungsquelle“, sagt Hölzel.

Als Ursache für das Bienensterben, von dem einige Experten sprechen, wird immer wieder die Varroa-Milbe genannt, die ganze Völker über den Winter hinweg tötet. „Das stimmt – aber warum hat die Milbe denn eine so große Chance bei den Bienen?“, fragt Hölzel, die selbst Imkerin ist. Studien hätten gezeigt, dass Neonikotinoide auch das Immunsystem der Bienen schwächen. „Da hat ein Schädling gute Chancen.“

Weil immer mehr Studien die schädliche Wirkung von Neonikotinoiden auf Bienen und andere Insekten nachwiesen, entschied die EU-Kommission im Dezember 2013, den Einsatz der drei Neonikotinoide zu beschränken. So ist es derzeit EU-weit nicht erlaubt, die drei Insektizide etwa auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken anzuwenden. Doch die Beschränkung hat einige Lücken, und für zahlreiche Pflanzen gibt es Sondergenehmigungen. So dürfen die Neonikotinoide zum Beispiel bei Hafer oder Weizen angewendet werden, wenn die Getreide zwischen Januar und Juni ausgesät werden.

Der Beschluss der Kommission im Jahr 2013 ging auf eine Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) zurück. Die Efsa erhielt auch den Auftrag, weitere Erkenntnisse zur Wirkung der entsprechenden Insektizide zusammenzutragen. Seit dem Jahr 2015 sammelt sie deshalb sämtliche wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema.

Eine abschließende Bewertung soll nach derzeitigem Stand im kommenden Februar vorliegen. Doch schon im November 2016 veröffentlichte die Efsa eine überarbeitete Version ihrer Empfehlung von 2013. Unter anderem wurde bestätigt, dass die beiden Neonikotinoide Imidacloprid und Clothianidin „einige Risiken für Bienen bergen“.

Auf dieser Grundlage will die EU-Kommission am Dienstag und Mittwoch mit den EU-Mitgliedsstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel über eine weitere Beschränkung der drei Neonikotinoide diskutieren. Darüber, wie genau eine neue Regelung formuliert werden soll, macht die Kommission derzeit keine Angaben. Laut Bundesumweltministerium hatte die Kommission aber im März Vorschläge unterbreitet, nach denen die drei Wirkstoffe nur noch in Gewächshäusern eingesetzt werden dürfen. Ob es diese Woche schon eine Entscheidung geben soll, war zunächst unklar.

BUND und Nabu fordern ein Komplettverbot der Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide. „Und darüber hinaus all jener Wirkstoffe, die ähnlich wirken“, sagt Till-David Schade vom Naturschutzbund (Nabu) Deutschland. Der Referent für biologische Vielfalt nennt als Beispiel das Insektizid Fipronil, das durch den Eierskandal im August 2017 bekannt wurde und auch auf Feldern eingesetzt wird. Den Vorschlag, die Insektizide nur noch in Gewächshäusern einzusetzen, hält Schade für falsch. „Neonikotinoide sind systemisch wirkende Gifte. Sie gelangen also über die Pflanzen in den Boden und so auch nach draußen“, sagt Schade. Das Gewächshaus sei kein geschlossenes System.

Skeptisch äußert sich der Industrieverband Agrar. Sein Sprecher Martin May befürchtet einen Wettbewerbsnachteil für die Landwirtschaft in der EU, wenn die Nutzung von Neonikotinoiden weiter eingeschränkt werden sollte. „Wir behaupten nicht, dass diese Mittel harmlos sind. Aber sie können von fachkundigen Landwirten verantwortungsvoll eingesetzt werden“, sagt May. Der Industrieverband kritisiert darüber hinaus, dass eine Entscheidung noch vor der Bekanntgabe der Efsa-Empfehlung im Februar getroffen werden soll.

Auch Nabu und BUND wissen um den ökonomischen Druck, unter dem Landwirte stehen. Es müssten daher Anreize geschaffen werden, um sie zu einem Mentalitätswandel zu bewegen. „Es gibt viele Möglichkeiten, Schädlinge auch ohne massiven Pestizideinsatz zu bekämpfen“, sagt Till-David Schade. Man könne Nützlinge fördern, wenn man ihnen etwa am Rande der Kulturen Lebensraum schaffe. „Auch eine breite Fruchtfolge kann den Einsatz von Insektiziden reduzieren“, sagt Corinna Hölzel. Denn der Anbau der immer gleichen Frucht fördere auch starke Schädlingspopulationen.

Das Umweltministerium unterstützt laut einer Sprecherin die Vorschläge der Kommission und möchte sich in der Regierung für eine entsprechende deutsche Position einsetzen. Das federführende Landwirtschaftsministerium betont, die Ergebnisse der Efsa-Empfehlung im Februar abwarten zu wollen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagte in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“: Wenn sich in der Efsa-Studie herausstelle, dass die Stoffe schädlich seien, „dann müssen sie komplett verboten werden“.