War Rose eine Mörderin? Hat die von Kate Winslet in „Titanic“ gespielte Tochter aus wohlhabendem Hause gewusst, was sie tat, als sie ihrem mittellosen Liebhaber Jack (Leonardo DiCaprio) die eiskalten Finger von ihrem Behelfsfloß löste und in die Tiefe sinken ließ? Hätte Rose Jack retten können, statt nur an die eigene Rettung zu denken? Wer sich auf dem dramatischen Höhepunkt eines Films mit solcherlei Gedankengängen auf emotionale Distanz begibt, dürfte auch an Winslets jüngstem Film wenig Gefallen finden. Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Kinostart von „Titanic“ wird sie noch einmal vom Erfrierungstod bedroht, und erneut muss der Zuschauer mancherlei Ungereimtheiten hinnehmen, um sich von „Zwischen zwei Leben“ angemessen emotional überwältigen zu lassen.

Bei „The Mountain Between Us“, so der bedeutungsschwangere Originaltitel, handelt es sich um die Verfilmung des Bestsellers von Charles Martin. Alles beginnt auf einem Flughafen in Kanada. Die quirlige Fotoreporterin Alex (Winslet) und der wortkarge Neurochirurg Ben (Idris Elba) sind sich nie zuvor begegnet. Doch ihr Flug wurde wegen schlechten Wetters gestrichen, und so heuern sie eine Privatmaschine an, um nach Hause zu kommen. Da stirbt über den verschneiten Hochgebirgswipfeln der Purcell Mountains der Pilot an einem Herzanfall.

Er trägt einen Ring, sie steht kurz vor ihrer Hochzeit

Das Flugzeug bricht entzwei und landet auf 2400 Metern Höhe im Nirgendwo. Alex’ Bein wird verletzt, Ben und der Hund des Verstorbenen scheinen unversehrt. Als nach einigen Tagen immer noch keine Hilfe kommt und sie fast von einem Puma getötet worden wäre, folgt die Frau ihrem Bauchgefühl. Sie macht sich humpelnd auf den Weg ins Ungewisse.

Der kopfgesteuerte Mann geht ihr kurz darauf hinterher. Gemeinsam stapfen sie tagelang durch die Schneewüste und lernen sich näher kennen. Er trägt einen Ring, sie steht kurz vor ihrer Hochzeit. Man tauscht sich über das Leben und den eventuell kurz bevorstehenden Tod aus. „Titanic“ wird nicht zitiert, stattdessen „Die Reifeprüfung“, was Filmkundigen als Hinweis auf ein mögliches, frostfreies Happy End dienen könnte.

Es macht durchaus Vergnügen, den beiden charismatischen Stars bei ihren Outdoor-Exerzitien zuzuschauen und den Blick über die grandiosen Landschaftspanoramen schweifen zu lassen. Auch manch dezente Reflexion über den Medienbetrieb, der in jeder noch so individuellen Grenzerfahrung letztlich nur eine gut verkäufliche Story sieht, kann man als anregende Selbstkritik gelten lassen. Leider emanzipiert sich der bisher auf politische Filme versierte Regisseur Hany Abu-Assad („Paradise Now“) zu wenig vom trivialen Ton seiner Vorlage. Und um dem Zuschauer das Verstreichen von Zeit klarzumachen, fällt ihm kaum mehr ein, als Alex Sätze sagen zu lassen wie „Jetzt sind wir drei Tage unterwegs ...“

Zu derlei Plattitüden gesellen sich eingangs erwähnte Ungereimtheiten: Wieso schließt Ben sie mit den Worten „Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe“ in die Arme, obwohl er nur eine kurze Weile ihren unübersehbaren Spuren im Schnee folgen musste? Und warum brennt in jeder zugigen Grotte und feuchten Erdhöhle, in der die beiden sich nachts verkriechen, sofort ein gemütliches Feuer?

Leonardo DiCaprio hatte es da eindeutig besser erwischt, als er vor zwei Jahren in „The Revenant“ seinerseits sein „Titanic“-Trauma reinszenieren durfte. Um nicht zu erfrieren, legte er sich splitternackt in ein totes Pferd, was ihm prompt den Oscar einbrachte. Seine Freundin von der „Titanic“ uriniert lediglich in eine Suppenschale, die Elba, ohne eine Miene zu verziehen, draußen im Schnee auskippt. Zum Glück hat Kate Winslet ihren Oscar längst in der Tasche.

„Zwischen zwei Leben – The Mountain Between Us“ USA 2017, 105 Minuten, ab 12 Jahren,
Regie: Hany Abu-Assad, Darsteller: Kate Winslet, Idris Elba, Dermot Mulroney, Beau Bridges, täglich im Cinemaxx Dammtor, UCI Othmarschen/Wandsbek