othmarschen. Villa des legendären Schriftstellers verschwindet in den kommenden Tagen. Wirbel um Baumfrevel vor Ort

Einst schrieb er hier seine Bestseller, nun bieten das leer stehende Wohnhaus und Grundstück des 2014 verstorbenen Siegfried Lenz („Deutschstunde“, „So zärtlich war Suleyken“) an der Preußerstraße ein Bild des Jammers. Das Gelände ist durch einen Bauzaun gesichert, der Garten verwüstet, ein Bagger wartet auf seinen Einsatz. Mittlerweile ist es nicht mehr zu übersehen: Die kleine Villa wird, wie berichtet, in diesen Tagen abgerissen.

Alter Baum ohne Genehmigung gefällt

Doch die Arbeiten verlaufen alles andere als reibungslos. Hinter den Kulissen gibt es mächtigen Ärger. Vor einigen Tagen hatten direkte Nachbarn beobachtet, dass ein großer, alter Baum auf dem Grundstück gefällt und sofort beseitigt wurde. Obwohl Mitarbeiter des Ordnungsdienstes nach knapp einer Stunde vor Ort erschienen, war von dem Baum so gut wie nichts mehr übrig. In einem Schreiben des Naturschutzreferats an die aufmerksamen Nachbarn heißt es, dass es sich dabei entweder um einen alten Wacholder oder eine Libanon-Zypresse gehandelt haben muss – Stammdurchmesser: rund 80 Zentimeter. Wegen der auffälligen Eile der Arbeiten könne aber keine genaue Artenbestimmung mehr erfolgen. „Der Baum hätte aufgrund seiner Einzigartigkeit und seines schutzwürdigen Charakters erhalten werden müssen“, so der zuständige Beamte.

Wie in solchen Fällen üblich, wurde sofort ein sogenanntes Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eröffnet. Der für die Fällung verantwortliche Bauherr, Bauunternehmer oder gegebenenfalls Subunternehmer muss zu dem Vorgang schriftlich Stellung nehmen, danach wird dann ein Bußgeldbescheid erlassen.

Als das Hamburger Abendblatt im vergangenen April erstmals über den rapiden Verfall der Lenz-Villa berichtete, schien der Abriss des Hauses noch nicht beschlossen. Der Vorstand der Siegfried Lenz Stiftung, Günter Berg, sagte damals, dass sich Lenz’ Erben „der besonderen Bedeutung des Ortes“ bewusst seien und nichts „übers Knie brechen“ wollten. Zeitweise wurde die Einrichtung einer Gedenkstätte oder eines Museums erwogen, aber die Chancen dafür standen von Anfang an nicht gut. Vor allem der schlechte Zustand der Villa, in die seit vielen Jahren nichts mehr investiert worden war, sprach dagegen. Hinzu kam, dass Lenz zuletzt nur noch selten in dem Haus wohnte und sein kompletter literarischer Nachlass schon längere Zeit vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach verwaltet wird.

Haus und Grundstück gehören der Lenz-Witwe Ulla Reimer beziehungsweise deren Söhnen aus erster Ehe. Dem Vernehmen nach soll nach dem Abbruch ein Mehrfamilienhaus an der Preußerstraße errichtet werden. Die Nachbarn beobachten mit Besorgnis alle Veränderungen, die vor Ort vor sich gehen. Christoph Beilfuß, der ebenfalls in der Preußerstraße wohnt, kritisiert die jüngste Fällaktion: „Othmarschen hat leider immer weniger Grün. Irgendwann muss man hier noch die Häuser grün anstreichen.“

Lenz hatte das Haus mit seiner ersten Ehefrau Liselotte (Lilo) im Jahr 1963 bezogen. Frühere Besucher berichten, dass die Räume extrem einfach eingerichtet waren – schlichtweg deshalb, weil Siegfried und Liselotte Lenz konsequent ein unprätentiöses Leben führten. Entsprechend steckte der Schriftsteller, der mit seinen erfolgreichen Büchern viel Geld verdiente, im Laufe der Jahrzehnte auch so gut wie nichts mehr in den Unterhalt der kleinen Villa. Das Haus hat, das ist bereits von außen zu erkennen, auch keinen nennenswerten architektonischen Wert. Die wenigen Einrichtungsgegenstände, die überhaupt materiellen Wert hatten, befinden sich im Besitz der Erben. Alles, was mit Lenz’ literarischem Schaffen zusammenhängt, lagert in Marbach, darunter auch sämtliche von Lilo Lenz getippten Typoskripte seiner Werke.

Zuletzt wohnte Lenz kaum noch in dem alten Haus

In seinen letzten Lebensmonaten verbrachte Siegfried Lenz viel Zeit im Ferienhaus seiner zweiten Frau auf der dänischen Insel Fünen. Die beiden waren im Jahr 2010 auch in Dänemark getraut worden. Zusätzlich zum Hamburger Wohnsitz hatte sich das Ehepaar noch in einer Hamburger Seniorenresidenz eingemietet, die ihm alle Annehmlichkeiten bot, die das Haus an der Preußerstraße schon lange nicht mehr bieten konnte. Nun sind die letzten Tage der Lenz-Villa gezählt.